Stil
Eitel Wolf
vom Stein
264 Denkmäler: Eitel Wolf vom Stein
Mitte zu fammeln), oben ein Baldachin, der die tektonifche Umrahmung lebendig
„wie ein Diftelgewächs“ (Börger) — umklammert.
Durch diefe Art der Vereinigung der beiden Typen gewinnt Backoffen eine außer-
ordentlich gedrängte Fülle körperlichen Lebens innerhalb des prachtvollen Rahmens:
es ift eine höchfte Steigerung des viel- und feingliedrigen Syftems, das das Mittel-
alter entwickelt hatte; darin wenigftens ein letter Triumph der Spätgotik.
Aber freilich, Backoffen fühlte wohl, daß er diefe körperlichen Maffen in fefte
Grenzen bannen mußte, wollte er das Ganze zufammenhalten. Und [o begegnet uns
denn hier zum zweiten Male ein wirklicher Architekturrahmen. Das ift nicht mehr
feines Stabwerk, einer Platte als Außenrahmen leicht aufgelegt. Das ift ein wirkliches
Gehäus, gebaut aus Sockeln, Pfeilern, Gebälk, Bogen und Attika. Der antikifche Ge-
[chmack ift dabei im einzelnen kraus genug. Nicht nur in den Verhältniffen, auch in
den Formen bricht die Gotik immer wieder munter durch.
Die Figuren will ich nicht ausführlich analyfieren, ich fege lieber die ausgezeichnete
Schilderung Dehios hierher: „Die Heiligen (Martin und Bonifatius) find ins HeroifChe
gefteigert, in weifer Gegenfäglichkeit zuder dem Alltäglichen fich nähernden, immer noch
würdevollen Bildung des Kurfürften. Wie fie ihre Bücher, ihre Krummftäbe greifen, den
Knieenden empfehlend vorfchieben, das find nur leichte Aktionen, aber fo ausgeführt,
daß fiean eine gewaltige latente Kraft denken laffen. Wie von kurzen heftigenWindftößen
die fhweren Gewandfalten durcheinander geworfen; fhwarze Schattenflecken rafCh mit
fahrigen Lichtern wechfelnd; kühn zerklüftet die mächtigen Häupter der BifChöfe; end-
lich die den Sterbenden am Kreuze nachklagend umflatternden Scharen der Engel.“
Nur ein paar Worte habe ich noch hinzuzufügen. Paul Kautfth hat gezeigt, wie
das, was wir hier bewundern, durchaus einer folgerichtigen Weiterentwickelung und
Steigerung der Kunft Backoffens entfpringt. Nicht nur der Gewandftil, auch die mäch-
tige Körperlichkeit der Figuren kündigt fich in den älteren Denkmälern [ihon an.
Ebenfo die Fähigkeit, eine Fülle individueller Züge im Angeficht den großen be-
ftimmenden Linien unterzuordnen und fo die Köpfe ebenfo lebendig wie groß wirken
zu laffen. Endlich auch der Reichtum im Zuftändlichen und Ornamentalen. Hier ift
die Behandlung alles Beiwerks befonders herrlich: die Gewandfäume, die Schließen
der Dalmatiken, die Handfthuhe, die Bifchofftäbe (abgefehen von den Krümmen), die
Mitra, das Stilleben unten vor dem knieenden Erzbifchof (Krümme, Kreuz, Handfthuhe
aufdem Kiffen, dahinter ein Totenkopf). Man denkt unwillkürlich an Grünewalds Morit
und Erasmus, diefes Bild, das eine gewiffe Verwandtfchaft in der fühweren gefättigten
Pracht der Erfcheinung, ruhig und doch voll nachhaltender Kraft, mit unferem Werk hat.
Aber wenn man nun den Blick hinauf zu dem Gekreuzigten wendet, wird man rafch
inne, welcher große Unterfchied des Temperaments doch die beiden (die fich oft
genug in Mainz am Hof Albrechts begegnet fein mögen) trennt. Diefer Chriftus hat
nichts von der furchtbaren Großartigkeit des zu Tode gequälten Riefen Grünewalds.
Er ift [chlank und ftraff modelliert aus einer guten Kenntnis der Oberflächen heraus,
mit großem Feingefühl für die zarteren Hebungen und Senkungen der Muskulatur.
Aber er ift eher elegant als mächtig, und er hat uns nicht viel zu fagen. Man fühlt,
Backoffen war nicht geftimmt, in die legten Tiefen feiner Zeit hinabzufteigen.
Nr. 20. Eitel Wolf vom Stein F 1515. NQF. Grabplatte. Abb. 89.
Bourdon S.59 ff. Gudenus I S. 942 ff., bef. 944. Schaab II S. 101. Falk, Der Mainzer
Hofmarfchall Eitel Wolf vom Stein. Hift.-polit. Blätter 111. 1893. S. 877 ff., bef. 892.
Die Platte mißt 1x2,15 m und ift aus rotem Sandftein. Sie ift f&hlimm mitge-
nommen. Von der Minuskelinfchrift find nur noch ganz geringe Refte zu lefen, die