Full text: Der Dom zu Mainz (B, [2], Band 2, Teil 1)

Stil 
    
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
304 Denkmäler: Kurfürft Anfelm Franz von Ingelheim 
In der Buchftabenform zeigt die Infchrift einen für Mainz fremdartigen Charakter. 
Außer den wichtigften Daten aus dem Leben des Verftorbenen zählt die Infthrift 
auch feine hervorragendften Amtshandlungen als Kurfürft auf: Die Wahl Kaifer Jofefs, 
deffen Krönung fowie die feiner Mutter Eleonore Magdalena Therefia, die Ernennung 
der Koadjutoren Ludwig Anton von der Pfalz und Lothar Franz von Schönborn. 
Das Denkmal ift 5,40 m hoch. Im Aufbau begegnet uns hier zum erftenmal anftatt 
der Nifche mit umrahmender Architektur die zeltartige Form. Zwar ift die Nifche 
noch beibehalten, aber fie ift ffhon ganz flach geworden, mehr Schmuck als Architektur, 
und fteht mit dem Hintergrunde in keinem rechten Zufammenhang mehr, noch weniger 
mit der Darftellung des Verftorbenen felbft. Der fargähnliche wuchtige Unterbau mit 
eingezogenem unteren Rande, wie wir ihn am Denkmale von der Leyens [chon fanden, 
bleibt; wir werden ihm durch das ganze 18. Jahrhundert hindurch noch öfter bei den 
Denkmälern begegnen. Sonft aber ift eigentliche Architektur, abgefehen von der 
kaum noch als folche empfundenen Nifche, aus dem Aufbau verfchwunden.!) 
Auf dem zweiten Sockelgliede ruht halb liegend der Verftorbene in vornehm läffiger 
Haltung auf einem Teppiche, der, mit [{hweren vergoldeten Franfen verziert, über 
die Vorderfeite des Sockels herunterhängt und die Grabfchrift trägt. Den linken Arm 
ftügt er auf ein mächtiges Kiffen, vor ihm fit ein Putto, der ihm das aufge[thlagene 
Gebetbuch hinhält. Wie in den Stilformen tritt auch in der Tracht nunmehr ein Wandel 
ein. Das erzbifchöfliche Ornat: Pluviale, Pallium, Mitra, Kreuz, Stab find verfchwunden, 
vereinzelttreten fie höchftens nur noch als Beigaben auf. Die jetzt übliche Tracht der Ver- 
ftorbenen ift die Chortracht: Chormantel und Rochette, deren breite Säume hier ein 
reiches Mufter in Hochftickerei (Putten zwifchen Ranken) ziert. Die geiftliche Würde 
des Erzbifchofs tritt gegenüber der weltlichen Machtftellung des Kurfürften in den 
Hintergrund. Das kommt jetzt auch in der Tracht zum Ausdruck. Zu Füßen des Ver- 
ftorbenen fteht ein Kruzifix. Nach den Angaben Werners dürfen wir es für das ur- 
[prüngliche halten. Der Sockel ift aus [{hwarzem Marmor, das Kruzifix felbft, eine 
gute Arbeit, aus weißem Marmor, das Kreuz aus Holz. 
Im oberen Teile des Grabmals fChlagen vier neckifche Putten das Zelttuch zurück, fie 
enthüllen gleichfam das Bild des Verftorbenen dem Befthauer. Über dem Ganzen 
[chwebt der geflügelte Tod; er hält das Wappen Anfelm Franz’ als Kurfürften von Mainz, 
geviert von Mainz und Ingelheim mit drei Helmen (Kurmainz, Inful und Ingelheim). 
Im Material ift gegenüber der Vielfarbigkeit der vorhergehenden Denkmäler hier 
eine Vereinfachung eingetreten. Das Figürliche ift aus weißem Marmor, alles übrige 
aus [Chwarzem, weißgeadertem Marmor angefertigt. Die Franfen des Zeltes, Teppichs 
und Kiffens find vergoldet. 
Der Schwerpunkt des Denkmals ruht nicht mehr auf der figürlichen Darftellung des 
Verftorbenen, die fich zwar in der Farbe [Charf gegen die ganze Umgebung abhebt, 
aber doch wieder in ihrer Maffenwirkung — und das gilt auch für die zeitlich folgenden 
Denkmäler — hinter dem Pomphaften des ganzen Aufbaues zurücktritt (man denke [ich 
nur den Verftorbenen hier in der Nifche ftehend dargeftellt). Die fCharfe, lehrhafte 
Betonung der einzelnen Teile in der Senkrechten und Wagrechten des Aufbaues wird 
aufgegeben, alle Glieder: Sockel, Nifche, Draperie oder Zelt und auch der figürliche 
Schmuck verfchmelzen zu einem einheitlichen pomphaften Gebilde, in dem die Dar- 
ftellung des Verftorbenen nur noch ein fchärfer hervortretender Punkt, eine Glanz- 
ftelle, aber nicht mehr das Alleinherfchende oder der Mittelpunkt ift. 
1) Ein Umftand, der dafür fprechen könnte, das Denkmal in der Entwicklungsreihe der 
Domdenkmäler erft nach dem des Dompropftes von der Leyen, alfo nach 1706, zu feten.
	        
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