334 Sonftige Kunftwerke: Jüngftes Gericht
er das Bild; und deshalb find auf die Anregung nachgeborener Freunde der genannten
Männer und auf Koften des Domkantors Philipp von Trohe zum frommen Gedächtnis
diefe Tafeln hergeftellt worden im Jahre 1600. Möchten fich aller der Genannten
Seelen der ewigen Freuden getröften!“ Offenbar ift der Sachverhalt diefer: Das
Jüngfte Gericht war urfprünglich einWandgemälde und befand fich über einem (kleine-
ren) Altar. Als nun an deffen Stelle ein mächtiger neuer Altar errichtet wurde, ver-
fehwand es hinter deffen Oberbau. Da ließ man, um die Erinnerung an die Stiftung zu
erhalten, den Gegenftand auf eine Holztafel malen und diefe — natürlich ganz freie
Wiederholung ift uns erhalten. Die Frage kann nur fein: läßt fich feftftellen, wo die
Tafel urfprünglich hing? Hierher kann fie ja erft bei der Erweiterung der Kapelle
(f. oben S.62und 141) gekommen fein. Auf diefe Frage gibt uns wieder Bourdon eine
unzweideutige Antwort. Er befthreibt im füdlichen Querhausflügel das Denkmal des
Propftes Heinrich Ferdinand von der Leyen, erwähnt, daß einft an deffen Stelle der
Altar St. Kilians ftand, der dann in den eifernen Chor kam, und fährt fort: „Hic ad
murum et ante quondam existentem S. Kiliani aram pictum fuit extremum judicium
subjuncta inscriptione: anno domini 1428, den 20. Tag Martij ftarb der ehrwürdig Herr
Johann Weife Dechand diefer Kirchen.“ Alfo Bourdon weiß noch aus irgendeiner
Tradition von dem Wandgemälde des Jüngften Gerichts ante!) aram S. Kiliani. Er
felbft aber fah noch die Tafel, die zu deffen Erfag hier aufgehängt worden war. Er
nennt fie und gibt die Infchrift genau im Wortlaut wieder: Novissimi judicii imaginem
ufw. Nach alledem ift der Sachverhalt zweifellos diefer: Das Wandgemälde war ur-
[prünglich über dem Kiliansaltar. Diefer wurde 1596 durch die Erben des Domkantors
Philipp von Trohe aus deffen Nachlaß und zu feinem Gedächtnis ftattlich erneuert.
Der neue Altar verdeckte das Wandbild. Deshalb ließen die Stifter ebenfo auf Koften
des Nachlaffes Philipps das Tafelbild malen. Der Altar wurde [päter?) in den Oftchor
übertragen. Wiederum beträchtlich [päter kam an feine Stelle das Epitaph von der
Leyen. Wo fich das Tafelbild nach Bourdons Zeiten befand und woher es an feine
jegige Stelle kam, wiffen wir nicht.
Man fieht oben in der Mitte auf einer dunklen Wolkenbank Chriftus mit ausge-
breiteten Armen zwifchen Maria und Johannes, die mit gefalteten Händen knieen; im
Hintergrund die Apoftel; ganz oben in den Ecken pofaunende Engel. In der hellen
Zone unter dem Weltrichter f'hweben drei Engel mit Pofaunen und Palmen; links
wird eine Seele von einem Engel emporgeholt, rechts eine Seele von einem Teufels-
ungeheuer in Rauchwolken herabgezerrt. In der unteren Zone fteht in der Mitte ein
gewaltiger Michael mit Schwert und Wage; hinter ihm ungezählte Scharen der Auf-
erftandenen, Links knieen die Seligen, denen ein Jüngling das Siegel auf die Stirn
drückt (Apokal. VII, 2). Rechts treiben zwei riejige Teufel die Verdammten in den
Abgrund. Ganz vorn endlich, auf der Seite der Seligen, die in der Infchrift genannten
Stifter, knieend, zuvorderft der Dekan Johannes Weiß von Fauerbach, in der Mitte
(links hinter dem Genannten) der Kanonikus Albert von Fifhborn, hinten der Kantor
Philipp von Trohe, der die Tafel malen ließ. Jeder der drei hat fein Wappen bei [ich.
Das erfte — Weiß von Fauerbach — zeigt das väterliche und mütterliche Wappen ge-
viert in dem Schild, alfo neben dem Wappen der Weiß auch noch das der von Mans-
1) ante aram hing fpäter die Holztafel; das Wandgemälde befand [ich höchftwahrfcheinlich
über dem Altar. Bourdon überträgt irrig den [päteren Zuftand auf den älteren.
2) Wohl erft im Zufammenhang mit der gründlichen Domumgeftaltung der achtziger Jahre
des 17. Jahrhunderts, nicht fchon 1596: fonft hätte ja gar keine Veranlaffung vorgelegen, das
Wandbild durch ein Tafelbild zu erfeten.