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Kreuzgang, Denkmäler: Südflügel Nr. 22 439
Wenn man die oben angeführten Stellen bei Joannis und Gudenus mit dem zu-
fammenhält, was der Stein felbft ausfagt (f. unten), fo wird man zu folgenden An-
nahmen geführt. Der Stein lag urfprünglich im Kreuzgang, wo der Domherr Engel-
bert Graf von Naffau (+ 1508) begraben ift (Joannis II S. 384). Er wurde dann zu
einer zweiten Beftattung wieder verwendet und deckte nun das Grab des Domherrn
Johann Stefan von Dern (7 1709) in der Memorie (Joannis II S. 351). Und zwar lag
er retro ostium ad introitum olim capellae S. Michaelis (Bourdon), d. h. alfo vor jener
Nifche in der Oftwand der Memorie, die zu Bourdons Zeiten wohl noch deutlicher
als heute erkennen ließ, daß hier vor Zeiten ein Zugang zwar nicht zur Michaels-
kapelle, wohl aber zu dem einftigen Nordflügel des romanifchen Kreuzgangs beftan-
den hatte (f. oben S. 382 und Abb. 97 auf’ S, 380).
Die Platte, 1,30 m breit und 2,36 m hoch, aus graugelbem Sandftein, ift namentlich
in den oberen Teilen ftark abgetreten. Der breite Rahmen war urfprünglich mit einem
Ornament belegt, von dem einzelne Refte nur noch rechts und links und befonders
an der unteren Schmalfeite erhalten find. Innerhalb diefes Rahmens fteht der Dom-
herr im vollen Ornat auf einem Löwen und legt die Hände vor fich auf die Infchrift-
tafel, die quer herübergeführt beiderfeits in den Rahmen einfchneidet. In den Zwickeln
zu feiten des Kopfes fihwingen nackte [chwebende Engelchen Weihrauchfäffer. Auf
die vier Ecken des Rahmens find fihräg Schilde aufgelegt, von denen die beiden
oberen nicht mehr zu entziffern find: nach Bourdon fanden fich hier die Wappen-
bilder der Häufer Naffau-Idftein und Naffau-Dillenburg. Unten erkennt man noch
Baden und Breda.
Auch in der Mitte der Schrifttafel ift in einem vertieften Rund ein Wappen mit
Helm und Helmdecken zu fehen: es ift das des Domherrn, den die Infchrift nennt:
links von dem genannten Rund lieft man in Kapitalen: JIOHAN STEFAN | FREY » VON
DERN 1709 | 12 IVNIJ (rechts :) CANONICVS | CAPITVLARIS | HVIVS ECCLESIAE. Diefe
Infchrift füllt die Schrifttafel nicht, andererfeits greift fie auf ihren Rand rechts über,
und — die Hauptfache! — unter ihr werden Spuren einer älteren abgearbeiteten In-
[Chrift fichtbar. Mit anderen Worten: Die-Infchrift bezieht fich auf eine Nachbeftattung.
Und fo erklärt fich auch, warum das Schrifttafel-Wappen nicht zu den Wappen in den
Ecken des Steins paffen will, warum das Renaiffance-Ornament auf dem Rahmen,
Haltung und Tracht der Figur, die Behandlung des Gewandes unten (wo es leidlich
erhalten ift) mit den welligen Säumen und den Faltenaugen, endlich warum die nack-
ten Engelchen oben, warum das alles nicht mit dem Datum 1709 in Einklang zu
bringen ift. Der Stein ift weit älter: er ift nach 1508, höchftwahrfcheinlich gar nicht
lange darnach, entftanden. Denn es ift, wie fich aus der oben angeführten Überliefe-
rung ergibt und wie die noch erkennbaren Eckwappen beftätigen, der Grabftein des
Domherrn Engelbert Grafen von Naffau (+ 1508). Seine Infchrift lautete (nach Bour-
don): ENGELBERTO EX COMITIBVS DE NASSAV HVIVS AEDISCANONICO FRANCO-
FORDIENSIQVE PRAEPOSITO HOSPITALITATIS PRAESIDI ET PIO PAVPERVM PA-
TRONO FRATRES FIERICVRAVERVNT. MORITVR SEXAGENARIVS ANNO CHRISTI
M DVI. VIIIDVS APRILIS. Diefe Infchrift wurde abgearbeitet: an ihre Stelle traten
Wappen und Infthrift des fo viel jüngeren Domherrn Johann Stefan Frey von Dern.
Und fo erhielt der Stein fein heutiges Ausfehen.
Sehr zu bedauern ift, daß auch diefes fChöne und durch das überrafchend frühe
Auftreten eines, wie es [Cheint, fchon recht entwickelten Renaiffance-Ornaments (ent-
fernt verwandt dem an den Pfeilern des Mainzer Marktbrunnens) doppelt merkwürdige
Denkmal fo f&hlimm zugerichtet ift.
Joh. Stefan
von Dern