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unter dem Dachfirft gefchaffen war. Diefe Aufftellung ift ein barocker Gedanke. Aller
Wahrfcheinlichkeit war es alfo Franz Ignaz Michael Neumann oder fein Mainzer
Stellvertreter, der nach der Herftellung der Sakriftei in den Jahren 1769--74 die
Figuren an diefe Stelle brachte (f. oben S. 343).
Aber Hundeshagens Zeichnung ift noch in anderer Hinficht wichtig. Er gibt nicht
nur die fechs Apoftel, fondern noch zwei weitere zugehörige Figuren. Von ihnen ift
die eine der knieende Johannes der Täufer; die andere — gleichfalls knieend - ift
dann doch wohl fo gut wie ficher eine Maria. Mit anderen Worten: die Figuren
bildeten einft eine Darftellung des Weltgerichts, und ihre Aufftellung wird man fich
[fo denken dürfen, daß Chriftus, Maria und Johannes etwa das Bogenfeld eines Portals
einnahmen, während die fechs Apoftel, als Vertreter der Zwölfe, darunter am Sturz
angebracht waren.!) Damit aber fcheidet, foweit ich fehe, auch die letzte Möglichkeit
aus, die Figuren für den Dom in Anfpruch zu nehmen. Ein gotifches Portal, in deffen
Rahmen fie geftanden haben könnten, gab es hier nicht. Und der Weftlettner hatte
eine Deefis von anderer Art und Kunft.' Der Oftlettner aber wird föhwerlich auch
noch einmal den Weltrichter zwifchen Johannes und Maria gezeigt haben, wenn der
Gedanke des Weltgerichts f&hon den Bilderfchmuck des Weftlettners beherrfchte.
Überdies haben unfere Figuren mit den erhaltenen Reften der beiden Lettner dem
Stil nach gar nichts zu tun. Sie werden alfo wohl aus einer anderen Kirche ftammen.
An Liebfrauen kann man nicht wohl denken, denn auch dort war ein Weltgericht
anderen Stils; dazu mögen die Figuren älter fein als der Neubau von Liebfrauen.
Es gab aber noch mehr gotifche Kirchen in Mainz, die in Betracht kommen könnten.
So hatte die in den fechziger Jahren des 18. Jahrhunderts abgebrochene alte Auguftiner-
kirche (1260 im Bau, Hochaltar geweiht 1287) ein reicheres Portal.?2) Und neben der
Auguftinerkirche haben auch noch andere gotifche Kirchen Neubauten der Barockzeit
weichen müffen. Es gab alfo ficherlih um 1770 Gelegenheit genug, herrenlofe
gotifche Figuren aufzugreifen und wieder zu verwenden.
Die Johannesfigur, 98 cm hoch, aus rotem Sandftein und überdies rot bemalt, hatte
beide Hände verloren: fie find in Gips ergänzt. Die fechs Apoftel find 92-95 cm
hoch, ebenfalls aus rotem Sandftein, an den Oberflächen teilweife etwas verwittert.
Dem äußerften Apoftel links fehlt die Nafe; dem zweiten (von links), Andreas, der
Daumen der linken Hand am Buch: er war befonders angefett wie der eine Arm des
Kreuzes und die Nafenfpige. Offenbar ift diefe Figur einmal geflickt worden. Unter
den Apofteln find durch Attribute befonders kenntlich gemacht Andreas durch ein
kleines Kreuz (neben dem Buch), Petrus durch den Schlüffel (neben dem Buch),
Bartholomäus durch das Meffer und die abgezogene Haut, die er mit der Linken hält;
die drei anderen haben nur Bücher.
Daß der Johannes zu den Apofteln gehört, hat meiner Erinnerung nach zuerft Herr
Dr. W. Noack feftgeftellt. Die Thefe überzeugt. Insbefondere wird man anerkennen,
daß die Augenbrauen des Johannes den Augenbrauen der Apoftel fo ähnlich gebildet
find, daß da ein Zufammenhang beftehen muß. Hier wie dort fteigen feine Stege von
der Nafenwurzel fChräg nach außen auf, biegen dann in einem ganz kleinen Bogen um,
um fich nun nach einer fihwachen Einfattelung entweder in ftolzer Kurve um das Auge
zu wölben oder — wie beim Johannes und dem mittleren Apoftel rechts — fchräg energifch
abwärts zu föhwingen. Sodann find die Backenknochen ähnlich betont. Und fchließlich
1) Ähnlich wie am Südportal der Weftfaffade an der Kathedrale von Laon. Siehe W. H.
v. d. Mülbe, Die Darftellung des jüngften Gerichts. Leipzig 1911. Taf. V.
*) Vgl. den Grundriß in der Neebfchen Photographie (Gemäldegalerie der Stadt).
Kreuzgang, Denkmäler: Südflügel Nr. 32 445