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über der letzten Reichsform, zur Verknöcherung im Altertümlichen,
sondern zu einer Überbrückung zwischen neuer und neuester Zeit,
zu der Erkenntnis, daß nur auf wirklichem Wissen vom Alten
dauerndes Neues aufgebaut werden kann.
Viele Formen lassen sich denken, um diesen hohen Festtag der
Reichsgründung zu feiern, und verschiedene sind bisher gewählt
worden. Ich möchte als Historiker anknüpfen an die Vergangen-
heit, und zwar an die ferne Vergangenheit. Reiche sind gekommen
und gegangen, und sie bieten allerlei Beziehungen und lehrreiche
Vergleichungspunkte auch selbst zu unserem jungen Deutschen
Reich. Es gibt nicht, wie man zeitweise verfochten hat, absolut
gültige historische Gesetze, den Gedanken hat man mit Recht
längst wieder fallen lassen, aber es gibt historische Beispiele. Sie
sind nicht minder wichtig. Deshalb will ich heute kurz zu Ihnen
sprechen vom
Reichsgedanken im Altertum.
Es gilt das Thema zu umgrenzen. Nicht von der Entstehung
der Staaten im allgemeinen soll hier die Rede sein, dem oft zu eng
gefaßten sogenannten Stadtstaat, dem Flächen- und Dynasten-
staat, sondern von wirklichen Reichsbildungen. Es sind zunächst
ganz andere Verhältnisse als unsere heutigen, aber es sind zeitlich
abgeschlossene und deshalb übersehbare und beurteilbare Ver-
hältnisse. Das Altertum ist eine in sich vollendete weltgeschichtliche
Einheit.
Die Anfänge der Staatsgestaltung des Altertums, d. h. der
Mittelmeerwelt, liegen im Osten, obwohl eine neuere Richtung
den Westen oder Nordwesten dafür einführen will!), in Ägypten,
Babylonien, später Assyrien, Lydien, Medien, Persien. Aber den
Orient müssen wir -doch beiseite lassen. Wohl stellt er eine frühe
großartige kulturrelle und staatliche Entwicklung dar — wir
können in Ägypten schon am Beginn des dritten Jahrtausends
einen gut geordneten Beamtenstaat erkennen — und seine Kultur
ist für die werdende Welt des Mittelmeeres von entscheidender
Bedeutung geworden. Trotzdem ist er staatlich eine Gruppe für
sich geblieben, wenn auch nicht so scharf getrennt wie die fernen
Kulturkreise in Ostasien, Zentralafrika, Amerika, die ganz ihre
eigenen Wege gegangen sind. Erst gegen das Ende des Altertums
wirkt der Orient auch nach Westen hin stärker auf den Reichs-
gedanken ein. Außerdem sind die orientalischen Reiche, was man
I) C. SCHUCHHARDT, Alt-Europa, 2. Aufl., 1926.