Full text: Vorbuddhistische Zeit. Die hohe Kunst: Malerei und Bildhauerei (Band 1)

    
   
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
  
  
  
      
Conrady: Grabfiguren — Reform des 4. Jahrhunderts v. Chr. — Indischer Einfluß 89 
vielleicht einiges andere hierherzuzählen ist, was gleichfalls wohl in der 
indischen, aber nicht in der chinesischen Folklore eine Erklärung findet: — 
faßt man dies alles zusammen, so wird vielleicht die Vermutung nicht über- 
gewagt erscheinen, daß diese neue Kunst nicht ohne Hilfe der indischen ent- 
standen sein möchte. Auch zeitlich steht dem wohl nichts im Wege; denn 
obzwar die ältesten bekannten Skulpturen der Inder nicht über das 3. Jahr- 
hundert v. Chr. hinaufreichen, so hat doch Oldenberg aus einem gleichzeitigen 
Päli-Texte dargetan, daß sie schon zwei Jahrhunderte vorher figürliche Wand- 
malereien besessen haben. Und daß auch die Kompositionsart der altindischen 
merkwürdig gleicht,!) das ist bei der Verbreitung des Typus zwar kein Beweis, 
aber doch vielleicht eine Stütze. 
Immerhin wäre jedoch nicht ausgeschlossen, daß auch heimische Kräfte 
mit an der Wiege gestanden haben: die Pantomimen nämlich, die, scheint es, 
gerade im 5. Jahrhundert über die Schwelle ihrer uralten Domäne, des feier- 
lichen Opferdienstes, hinaus und als „neue Musik“ auch in das Reich des 
Profanen übergetreten waren?) — also das Drama, das ja die Phantasie 
unvergleichlich höher als einförmige Rezitation beflügeln mußte. Doch diese 
Frage bedarf erst noch genauester Untersuchung. 
Aber wie dem auch sei, wir werden meines Erachtens fürder nicht umhin 
können, die Anfänge jener künstlerischen Tradition, die in den Wu-Skulpturen 
und ihren Verwandten vor Augen liegt, um fast ein halbes Jahrtausend 
hinaufzurücken. Und es ist kein Zufall, daß sie gerade im Herzen Südchinas, 
in Ts’u, zutage treten. Denn dies „alte romantische Land“ war durch die 
plastische Schönheit seiner Natur und nebenher noch durch die Gunst des 
Bodens, der ganz China von alters her mit Farben versah,°) zum Sitze der 
Kunst ja geradezu geschaffen und hat denn auch bis in unsere Tage hinein 
den Löwenanteil an der chinesischen Kunstübung — Poesie und Malerei — 
gehabt. Die neue Kunst ist sein erstes Siegesdenkmal aus dem alten Kampfe, 
der auch in China und schließlich aus denselben geographischen Gründen wie 
anderswo zwischen Norden und Süden geführt wird.‘ 
Conrady kommt auf Grund seiner literarischen Forschungen zu dem gleichen 
Resultat, daß etwa im 4. Jahrhundert bei der großen Reformbewegung auch die 
Kunst auf neue Bahnen gelenkt werde. Nur scheint mir kein Anhalt — auch 
nicht literarisch — dafür gegeben, daß ein direkter Verkehr mit Indien be- 
standen hat. Es ist dagegen anzunehmen, daß die Völker Zentralasiens die Ver- 
mittler der neuen Kunst gewesen sind; dabei bleibt es fraglich, ob nicht auch 
Indien aus der gleichen Quelle empfangen und nicht gegeben hat. Die Türkvölker 
waren damals hoch kultivierte Stämme, die (s. 8. 67) vieles aus den Kulturen des 
Westens aufgenommen und selbständig verarbeitet hatten. Dieser westasiatische 
Mischstil kam auch nach dem Osten und gab die Anregung zu jener neuen 
Kunst, die in der Hanzeit weiterentwickelt wurde. 
Originalmalereien sind schon zur Zeit der chinesischen Han-Autoren nicht 
mehr vorhanden gewesen. Immerhin ersehen wir aus den Erzählungen, daß die 
Sitten, Bilder von Verstorbenen aufzuhängen, damals weit verbreitet und besonders 
Porträts von schönen Frauen sehr beliebt waren. Während Konfuzius noch auf 
1) Vol. Grünwedel, Buddhist. Kunst in Indien, 1. Aufl. 8. 97-262. 
2) Li-ki 7 (17), 25b—26b: SBE., 28, 116/17. 
3) Schon um 2000 v. Chr. lieferte Te’u als „Tribut“ (d.h. wohl eher als Einfuhr- 
artikel) den Zinnober (Shu-king III, 1, 52), mit dem man 1100 v. Chr. die Holzgeräte 
bemalte (l. c. V, 11, 4), und zur Zeit des Sün-tze war auch Ultramarinblau dazugekommen, 
und beide wurden u. a. zur Bemalung der Särge verwendet (Sün-tze 5, 10a; 12, 17b).
	        
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