Full text: Vorbuddhistische Zeit. Die hohe Kunst: Malerei und Bildhauerei (Band 1)

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90 Hanzeit —- Griechisch-römischer Stil 
Bambusstäben mit dem Griffel ritzte, war das Malen mit dem Pinsel auf Seide 
und Papier in der späteren Hanzeit üblich geworden. Die Kalligraphie hatte sich 
zu einer Kunst entwickelt, die auch in gebildeten Privatkreisen gepflegt wurde. 
Das Malen wurde durch die Schrift sowohl technisch als auch rhythmisch beeinflußt 
und galt als eine Abart der Kalligraphie. 
Noch Jahrhunderte später schrieben Künstler die Bücher ab und versahen 
sie mit Illustrationen. So wird von 16 illustrierten Büchern gesprochen, die Bilder 
von Konfuzius und seinen Schülern, von Kriegsszenen, von dem Barbarenvolke der 
Miautze und so fort enthielten. Die Schönheit eines Schriftzeichens wurde ebenso 
oder vielleicht noch höher geschätzt, als die des Bildes. Die Bilder waren nur Ergän- 
zungen des Textes; erst viel später wurde der Text zur Erklärung der Bilder hinzu- 
gefügt, und erst noch später erhielten die Bilder losgelöst vom Text eine selbständige 
Bedeutung. 
Bei Menschendarstellungen wurden Ober- und Untergewand ab- 
wechselnd in den vier Farben Gelb, Weiß, Blau und Purpurrot gemalt, während 
Grün gemieden wurde, weil es die Kleiderfarbe des gewöhnlichen Volkes war. Wie 
wir in der Dichtkunst stereotype Bilder kennen gelernt haben, so kamen auch für die 
Malerei ähnliche Gesetze auf, z. B. Flöte spielende Personen durften nur in pur- a 
purnen oder gelben Kleidern dargestellt werden. 
Wenn es erlaubt ist, einen Rückschluß aus den erhaltenen Bildern der späteren 
Zeit auf den unbekannten, zuerst eingeführten Malstil zu ziehen, so scheint ein 
Zusammenhang der chinesischen Malerei mit der römischen zu bestehen. Aller- 
dings wissen wir auch von der römischen Malerei nur sehr wenig, aber die Hand- 
werkertätigkeit der Vasenmalerei zeigt die starke Betonung der Linie, die wir 
auch in China als wesentliches Grundelement finden. 
Die Porträts der Verstorbenen in der Kaiserhalle erinnern an die Mumien- 
) bretter, die in den koptischen Gräbern in Ägypten aus römischer Zeit gefunden 
sind. Die Auffassung, stets von vorn in voller Breite das Gesicht zu malen, war bei 
den Mumien sachlich bedingt und findet sich als Kanon bis zum heutigen Tage bei 
den Ahnenbildern in China (Abb. 314/5). Ein anderer Grund als die Gewohnheit 
ist nicht ersichtlich. Ferner haben die römischen Bilder große runde Augen, in 
denen das Weiße stark hervortritt; auch diese Eigentümlichkeit findet sich bei 
chinesischen Malereien, besonders bis zur Tangzeit, also den ältesten erhaltenen 
Bildern. 1) Auch die chinesische Kritik, daß die Bilder jedes Haar zeigen, aber 
keinen Ausdruck haben, kann durchaus auf römische Nachahmungen zutreffen. 
Das bisher vorliegende Material ist viel zu zweifelhaft und zu gering, um eine 
sichere Vermutung aussprechen zu können. Doch scheint es mir in diesem Zusammen- 
hange wichtig, wenigstens auf die Möglichkeit eines römischen Finflusses auf die 
Malerei hinzuweisen. Jedenfalls werden wir an anderer Stelle (S. 125) erkennen, 
daß vor dem gräko-buddhistischen Einfluß bereits eine nationale, chinesische 
Kunst bestanden hat, deren große Vollendung das Vorbild einer hohen, fremden 4 
Kultur voraussetzt, und diese kann nur die antike Kunst Roms gewesen sein, | 
wenn wir nicht eine verloren gegangene, westasiatische Kunst konstruieren wollen. 
Es entsteht die Frage, ob eine derartige römische Übertragung möglich 
gewesen und ob historische Beweise für eine direkte Berührung zwischen Rom 
und Ohina vorhanden sind. 
!) Vgl. Abbildung: Knabe auf Esel im British Museum bei Giles, Chinese pietorial 
or gi Se an er 
art, 8.58, und. bei Binyon, Painting in the far East, Taf. IV.
	        
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