99 Hanzeit — Griechisch-römischer Stil
Auf römischen Mosaiken sehen wir Gebäude, aus der Vogelperspektive gesehen,
geradeso, wie sie in China dargestellt wurden. Während Architekturen, Menschen
und Pferde vortrefflich wiedergegeben sind, ist die Darstellung der Landschaft und
der Pflanzen, gerade wie in China, völlig primitiv. An einer freigebliebenen Stelle
des Hintergrundes werden kleine Hügelchen in starker Kontur, als Andeutung der
bergigen Landschaft, ohne Zusammenhang und ohne Proportion zu der Architektur,
und ebenso einzelnstehende Stauden oder Baumstämme für Wiesen und Wälder
naiv hingesetzt. Den gleichen Stil finden wir in China noch in der Tangzeit
in Übung (Abb. 134).
Spätere Forschungen in dieser Richtung werden vielleicht besseres Material
als Beweis für den römischen Einfluß herbeibringen. Allerdings gewinnen wir damit
erst einen Nachweis des Zusammenhanges aus dem oder den letzten Jahrhunderten
vor Christus. Der hellenistische Einfluß in der umgestalteten Form Mittelasiens
ist aber wahrscheinlich älter und dürfte bereits vor dem römischen bestanden
haben. Offenbar war im 3. Jahrhundert v. Chr. die Erinnerung und die Nach-
wirkung des Zuges Alexanders des Großen noch in weiten Gebieten Nordindiens
und Zentralasiens sehr lebendig. Chavannes hat nachgewiesen, daß etwa um
340 v. Chr. die Musik in China der griechischen entsprach.) Und daß Beziehungen,
wenigstens eine geistige Verbindung im Ausgang des 3. oder im Anfang des 2. Jahr-
hunderts v. Chr. zwischen China und Indien bestand, hat Conrady ?) an Hand der
Übereinstimmungen zwischen taoistischen und indischen Ideen gezeigt. Zum Bei-
spiel die indischen Büßer, die Yogi, regulieren den Atem, um Langlebigkeit zu
erzielen, und ähnliche Atemübungen werden 235 v. Chr. beim Taoismus erwähnt.
Zusammenfassung
Es sind die Anhaltspunkte vorhanden, daß etwa seit
dem 3. Jahrhundert v.Chr. hellenischer Geist durch Zwischen-
völker aus Westen und Süden einzudringen begann und all-
mählich ein direkter Verkehr mit Rom und seinen Kolonien
stattfand, der von weittragender Bedeutung für eine neu
erstehende Kunst ın China wurde.
Der villenartige Schloßbau mit seinen künstlichen Hü-
geln und Seen, Terrassen und Pavillons, Türmen und Brücken
kommt auf. Freistehende Menschen- und Tierfiguren in Stein
und Bronze als Schmuck der Architektur oder der Gärten
werden geschaffen und Bilder gemalt. Der Hausbau in fe-
sterem Material und das schwere Ziegeldach werden aus-
gestaltet. Es herrscht ein glänzender Luxus, aber die Kunst
ist noch reine Zweckkunst.
Die Innenräume werden luxuriös ausgestaltet, unter
Verwendung von gehämmerten Gold- und Silberblechen, Jade-
belag, Schnitzereien, Vergoldungen, Rotfärben der Hölzer,
Bemalen und Stoffdraperien. Der Handel bringt Münzen, Glas,
vielleicht auch Bernstein und Glasperlen aus römischen Be-
zirken, Jade aus Khotan.
)) Chavannes, Des rapports de la musique greeque avec la musique chinoise;
Appendix Bd. III von Traduetion mömoires historiques de Se-ma-ts’ien, S. 630—645.
?) Conrady, Indischer Einfluß in China im IV. Jahrhundert vor Chr. Ztschr. d.
Deutsch. Morgenländisch. Gesellschaft, Bd. 70, Heft 2, 1906.