Full text: Vorbuddhistische Zeit. Die hohe Kunst: Malerei und Bildhauerei (Band 1)

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Drache — Tiger — Phönix — Löwe 103 
dabei gedacht als die Delftmaler, wenn sie ihre Fayencen mit chinesischen 
Göttern bemalten. 
Da der Tiger kein künstlerischer Vorwurf in der griechisch-römischen 
Kunst ist, so dürfte von dieser Seite kein neues Vorbild nach China gelangt 
sein. Dagegen scheinen die Türkvölker, die wahrscheinlich den Tiger gekannt 
haben, das mehr realistische Vorbild nach China gebracht zu haben (Abb. 68), das 
für die spätere Kunst maßgebend geblieben ist. In der Malerei dürften später 
indische Gemälde mit von Einfluß gewesen sein. Jedenfalls blieb bis zur Neuzeit 
der Tiger ein symbolisches Tier, das stets in der traditionellen Form wieder- 
gegeben wurde und niemals nach der Natur studiert wurde. Daher fehlen auch 
alle Bilder von Tigerkämpfen oder Stellungen von Tigern im Sprung, stets ist die 
majestätische Ruhe als Sinnbild der Kraft auf Erden zum Ausdruck gebracht. 
Der Phönix wird in der Literatur als Fabelwesen erwähnt, aber die Beschrei- 
bungen sind unklar. In einem Bericht aus dem Jahre 150 v. Chr. sind Anhaltspunkte 
gegeben, die auf den Vogel Strauß passen könnten. 1) Aber die Angaben sind nicht 
so genau, daß die Chinesen, als ihnen 101 n. Chr. der Partherkönig einen Strauß und 
einen Löwen lebend sandte, das Vorbild erkannten. Es scheint vielmehr, daß aus 
  
  
  
  
Abb. 77 Stilisierte Pfauen oder Phönixe und Affen auf Dach, Steinrelief von Hiao Tangchan, 1. Jahrh. n. Chr. 
(Aus: Chavannes, La seulpture en Chine) 
der stilisierten Darstellung von Fasanen und Pfauen in der Hanzeit allmählich 
ein Ineinanderübergehen beider Formen stattfand und daraus die für China charak- 
teristische Phönixgestalt entstand. 
Auf den Spiegeln der Hanzeit (Abb. 36) sind die verschiedenartigsten 
Vögel in stilisierten Typen abgebildet und ebenso auf den Steinreliefs (Abb. 77), 
aber es fehlt die ausgesprochene Form des Phönix. Wann und wo der Phan- 
tasievogel zum ‚ersten Male erscheint, ist nicht feststellbar. Jedenfalls scheint 
er in der späteren Hanzeit (Abb. 38) als symbolisches Tier dem Motivenschatz 
der chinesischen Kunst eingereiht zu sein. 
Aus verschiedenen Quellen ist das Bild des in China nicht vorkommenden 
Löwen gestaltet. Laufer?) hat der Entstehung des Löwenbildes in der chine- 
sischen Kunst einen besonderen Abschnitt gewidmet, dem ich die folgenden 
literarischen Angaben entnehme. In den klassischen Büchern wird ein Löwe 
noch nicht erwähnt, sondern zum ersten Male kommt der heutige Name für 
Löwe (shih tzu) in der „Geschichte der späteren Handynastie“ (Hon han shu) 
vor. Der König der Yuechi bat um die Hand einer chinesischen Prinzessin und 
sandte 87 n. Chr. einen Löwen als Geschenk. Im Jahre 101 sandte Parthien 
und. 133 Kashgar Löwen als Tributgeschenke an den kaiserlichen Hof. 
Die erste Löwenstatue ist durch eine Inschrift aus dem Jahre 147 auf dem 
Grabmale der Familie Wu?) verbürgt, und wir hatten (8. 75) den „römischen‘ 
1) Forke, Mu Wang und die Königin von Saba. Mitteilungen des Seminars für 
orientalische Sprachen, 1904, VII. 
2?) Laufer, Chinese pottery of the Han Dynasty, S. 236—243. 
3) Ohavannes, La sculpture sur pierre en Chine, — Abb. in Tei Sekino, Stone 
mortuary shrines with engraved tablets of aneient China under the latter Han Dynasty, 
Kokka, Heft 227, Tafel S. 304.
	        
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