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Kunstgesetz — Originale — Kopien — Signierung 119
Ein älterer chinesischer Gelehrter schreibt nach Giles’ Übersetzung: „Die Ge-
wohnheit, die Werke älterer Meister zu kopieren, begann durch Hsieh Lo (im 5. und
6. Jahrhundert), und diese Methode wurde wegen der Leichtigkeit der Ausführung
sehr beliebt, aber es war schwierig, die künstlerische Inspiration zu übertragen.
Treue Kopien bestehen im Studium der Gedanken, nicht der Linien eines Bildes.“
Es werden dann verschiedene Meister genannt, die ein und denselben Künstler ko-
pierten, „aber jeder auf seine eigene Weise‘; wer mit beschränktem Geist das Vor-
bild sklavisch kopiert hätte, würde sicherlich keinen Erfolg gehabt haben.
Die Chinesen beschreiben in der Sungzeit zwei Arten, genaue Kopien von
Bildern herzustellen. Die eine — Lin — besteht darin, daß man freihändig abzeichnet,
„was ein ungeschickter Künstler nicht kann“. Die andere — Mu — ist einfacher,
indem ein Stück Seide direkt auf das Original gelegt und dann durchgepaust wird.
Im Grunde genommen sehen wir die gleiche Auffassung wie in der klassischen
Antike. Römische und griechische Skulpturen sind in zahlreichen Wiederholungen
gefunden, aber wir wissen oft nicht, ob unsere Funde wirkliche Originalschöpfungen
erster Hand sind.
Leicht ist es, genau wie bei der europäischen Kunst, am unsicheren, häufig
abgesetzten, zitternden Strich und kleinlichen Absätzen, an der Vernachlässigung
des An- und Abschwellens der Linien und der Unsicherheit der Zeichnung besonders
bei den Gesichtern, die schlechte Kopie zu erkennen. Schwerer, fast unmöglich da-
gegen, wenn gute Künstler derartige Wiederholungen oder Kopien ausgeführt haben.
Dieses ist aber in China durchaus üblich und wurde von guten Künstlern mit be-
sonderem Stolz betrieben. Bei dem Mangel aller Vervielfältigungsverfahren waren
gerade, wie noch heute in Italien, viele Künstler aller Grade jahrhundertelang
tätig, um berühmte Bilder für die Sammlungen von Liebhabern zu kopieren. Der-
artige Kopien, wenn gut ausgeführt, wurden und werden sehr hoch geschätzt.
Ferner hat fast jeder Maler zuerst gewisse Künstler als Vorbild genommen und sich
bemüht, in ihrem Stil nachzuschaffen. Sein Streben begann nicht damit, seine
eigene Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen, sondern, entsprechend der Verehrung
des Alten, im Geiste der anerkannten Meister Gleichartiges zu produzieren. Be-
herrschte er die Technik und Auffassung des Lehrers, dann erst wagte er sich daran,
einen eigenen Stil zu entwickeln. Diese Repetitionen großer Meisterwerke und Stil-
bilder von Schülern oder Nachfolgern sind es wohl meist, die in späterer Zeit
den Meistern selbst zugeschrieben wurden.
Andererseits wurden Bilder massenweise hergestellt, z. B. der Kaiser Huitsung
im 11. Jahrhundert soll eine ganze Akademie eingerichtet haben, in der ausschließ-
lich Bilder mit weißen Falken hergestellt wurden, die ähnlich, wie heute Orden, an
Beamte verliehen wurden.
Die Signierung der Bilder besagt sehr wenig, da sie nicht nur in moderner
Zeit, sondern — wie chinesische Schriftsteller fortgesetzt klagen — schon früher für
den leichteren Verkauf fälschlich angebracht sind. Auch sind die rechtlichen Begriffe
über die Signatur ganz andere als bei uns. Jeder Kopist wird sorgfältig die Stempel
mit kopieren, schon weil die roten Stempel der späteren Zeit durchaus in den Rahmen
des Bildes künstlerisch eingestimmt sind und unbedingt zu dem Bilde gehören. Also
Signaturen, wenn sie nicht zur Täuschung nachträglich gefälscht sind, besagen nur,
daß ein Bild dem Stil eines Meisters zugehört oder nach der Meinung des Verfertigers
zugehören soll. In der Tangzeit begann man überhaupt erst Bilder zu signieren,
und die Stempel kommen erst in der Yuanzeit in Mode.
Am trübsten sind die überall vorhandenen Quellen der Tradition. In Japan
fängt man jetzt an, mit europäisch geschulten Augen die bisherigen Überlieferungen
kritisch und wissenschaftlich objektiv zu prüfen, und die Folge ist, daß die Anzahl
der älteren Originale immer kleiner wird.
Münsterberg, Chinesische Kunstgeschichte