210 Sungzeit (960—1280)
Die Wahl der schwarzen Tusche war nicht Zufall, sondern war innerlich begründet
durch die Bevorzugung derartiger Sujets. Wo eine größere Sachlichkeit im Vortrag
betont wird, so besonders bei den buddhistischen Bildern und den Pflanzen und
Vögeln, wird die farbige Illuminierung, bald in stumpfen und matten, bald in
leuchtend bunten Farben beibehalten.
Die Perspektive aus der Vogelschau, die Andeutung der Raumtiefe
durch Einfügung von geradlinigen Architekturen, den doppelten Augpunkt für
die Gesamtkomposition und den einzelnen Teil, die hochgestaffelte Hintergrund-
kulisse und die Hervorhebung des inhaltlich interessierenden Mittelpunktes durch
Vergrößerung haben wir bereits kennen gelernt (8. 152/5). Diese Grundelemente
wurden beibehalten, aber bereichert und vertieft.
Die Betonung der Stimmung verlangte die Hinzufügung einer Luftperspektive
durch Wolkenballen und zart ausklingenden Nebel. Die fernen Berge verschwimmen
in weichen Tönungen oder Nebel verhüllt den Fuß der Gebirge, so daß nur die
Spitzen in den Himmel ragen. Soweit die Linienführungen durch Farbtöne abgelöst
werden, wird auch die Perspektive durch letztere vorwiegend zum Ausdruck gebracht.
Bei den Landschaften wird häufig der Horizont tief gelegt und eine Ausführung
bewirkt, die durchaus der europäischen nahesteht.
Die Auffassung der Landschaft aus der Vogelperspektive brachte noch eine
besondere Eigenart, die sich nirgends sonst in der Welt findet. Wenn der Europäer
eine Landschaft malt, so faßt er sie so auf, wie er sie sieht, also sein Auge bildet den
Aussangspunkt. Da der Chinese hoch oben aus der Luft herabsieht, so erscheint
es ihm unnatürlich, wenn er dorthin das Auge des Menschen versetzen sollte; dazu
kommt, daß sein Streben gar nicht dahin geht, die Natur, wie er sie sieht, abzu-
malen, sondern eine romantische Impression zu geben. So sieht sein geistiges Auge
die Landschaft von oben und in ihr die zuschauenden Menschen als kleine Staflage.
Oft bilden sie den geistigen Mittelpunkt des Bildes, und der erste Blick des
Beschauers fällt auf diese winzigen Geschöpfe in der großen erhabenen Natur.
Erst dann folgt unser Auge dem Gesichtsfelde der gemalten Person und gleitet
über die übrigen Teile des Gemäldes. Diese Art ist also eine durchaus logische Folge
der Malerei aus der Vogelperspektive.
In der Tangzeit blieben die Bilder ohne Signatur; in der Sungzeit begann man
die Namen aufzuschreiben, doch dann an Stellen im Bilde selbst, z. B. auf Ecken
von Felsen, im Schnee oder im Wasser oder dergleichen. Bei schlechter Handschrift
wurde der Eindruck des Bildes durch diese Art gestört. Erst Yunlin, einer der
großen Maler der Yuandynastie, führte die Aufschrift eines Gedichtes, einer Be-
zeichnung oder eines Namens ein, die, an einem geeigneten Platze angebracht,
selbst ein Teil des Bildes wurden. Diese Art scheint schon in der Sungzeit ver-
einzelt (s. $. 244) vorgekommen zu sein.
Figurenmalerei
Die chinesische Literatur hat uns über 800 Malernamen aus der Sungzeit über-
liefert, während kein Bildhauer von gleichem Ruhme erwähnt wird. Als Ausdruck
der Stimmung war die Skulptur wenig geeignet, und so scheint sie nur in der Tradition
der Heiligengestalten handwerksmäßig und namenlos weitergepflegt zu sein.
Eine Riesenfigur!) von etwa 23 m Höhe im Tempel Tafosse in der verödeten
Stadt Chensting in der Provinz Chili wird der Sungzeit zugeschrieben. Auf einer
etwa 2—3 m hohen, steinernen Basis erhebt sich aus ungebrannten Ziegeln ein Po-
1) Abbildung in Fischer, Erfahrungen auf dem Gebiete der Kunst und sonstige
Beobachtungen in Ostasien. Zeitschrift f. Ethnologie, 1909, Heft 1, Fig. 7 u. 8.