Full text: Vorbuddhistische Zeit. Die hohe Kunst: Malerei und Bildhauerei (Band 1)

      
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
  
9929 Sungzeit (9601280) 
sind die alten Bronzen modelliert (Abb. 104), und wie weich ist jetzt der Fluß der 
Linien und wie graziös die Stellung! Das Gesicht hat etwas Mildes und Verklärtes, 
und der Hintergrund ist dem Geiste der Göttin stimmungsvoll angepaßt. Auf der 
runden, großen Gloriole hebt sich der Kopf mit seiner gefälligen Haarumrahmung 
wirkungsvoll ab. Die Göttin sitzt auf einem Felsen der Erde, dahinter das weite 
Meer und über ihr der unendliche Himmel. Jene heilige Dreiheit der Welt ist an- 
gedeutet, die in symbolischer Weise auf vielen Bildern wiederkehrt. Alles ist in 
schwarzer Tusche weich verlaufend gemalt, während die Figur in der üblichen 
Linienführung gezeichnet ist. 
Neben den warmen, farbigen Tönen sind auch im älteren Stile der Tangzeit 
bunte Farben in zierlicher Miniaturmalerei angewendet. Nur wenige derartige Ori- 
oinale sind bisher bekannt geworden. Das Porträt eines Priesters (Taf. IV, B) er- 
scheint sehr bunt und grell, aber es ist wahrscheinlich, daß diese Nachteile erst auf 
den Reproduktionen entstanden sind und das Original weichere Übergänge auf- 
weist. Der singende Mund ist leicht geöffnet und läßt die Zähne zwischen den Lippen 
hervorschauen. Die Augen sehen interessiert in die Welt, und ihre Wirkung ist ge- 
steigert durch lang herabhängende Augenbrauen — das ganze Gesicht ist in leben- 
digem Ausdruck, während die Haltung des Priesters mit dem Zepter in den Händen 
in feierlicher Würde erfaßt ist. Der Hintergrund ist mit hingestreuten hellen, Blumen 
symbolisch dekorativ belebt. Die Einzelausführung, besonders des Tisches mit dem 
langstieligen Räuchergefäß und den Schriftrollen, sowie dem Lackbilde auf der 
unteren Platte erinnert an die naturalistische und elegante Art der früheren Tangzeit. 
Dem gleichen, minutiös ausgeführten Stile gehört ein anderes Rollbild an 
(Taf. IV,C), das den berühmten Priester Hsüan Tsang (602—664) aus Honan darstellt. 
Er wanderte nach Indien, um die heiligen Plätze zu besuchen, und brachte im Jahre 
645 von dort gegen 650 buddhistische Bücher und Bilder, sowie 150 Antiquitäten 
mit. Für den Kaiser schrieb er einen Bericht über die westlichen Länder und ver- 
brachte den Rest seines Lebens damit, die indischen Bücher zu übersetzen. Diese 
Arbeiten haben mit dazu beigetragen, daß in der Tangzeit das buddhistische Pantheon 
vergrößert und eine immer genauere Spezifizierung der Göttergestalten durchgeführt 
wurde. Auf unserem Bilde sehen wir den erfolgreichen Pilger, wie er, das Traggestell 
auf dem Rücken, hoch beladen mit Büchern, heimkehrt. Die heiligen Schätze bedeckt 
ein Schirm, an dem vorn eine kleine Ampel hängt. Die kleinliche und bunte Art 
der Malerei läßt die Entstehung in der Tangzeit vermuten, aber die Ausführung soll 
nach :Angabe japanischer Forscher erst in der Sungzeit erfolgt sein. 
Landschaftsmalerei 
Japanische Gelehrte bezeichnen als eines der Grundgesetze der Sungmaler: 
„Gemälde sollen die Empfindungen eines poetischen Temperamentes in gleichem 
Maße zeigen, wie die Poesie die Seelenstimmung eines Künstlers erkennen läßt.“ 
Waren die buddhistischen Bilder Illustrationen der philosophischen Gedanken, so 
waren die Landschaften die Niederschrift der Poesien. 
Goethes „Über allen Wipfeln ist Ruh‘ und Heines Lied vom ‚„Fichtenbaum 
und der Palme‘ entsprechen jener lyrischen Stimmung, die fast dreitausend Jahre 
vorher in China begonnen und in der Tang- und Sungzeit zum Gemeingut des Volkes 
geworden war. 
Diese Art der Lyrik verglich in anschaulicher Art Ereignisse und Seelenstim- 
mungen mit den sorgfältig beobachteten Vorgängen in der Natur. Es sind poetische 
Skizzen des Naturbildes, die nunmehr in die Malerei übertragen wurden. Nicht 
mehr sollte die Landschaft als Erinnerung an eine Tat, als Folie der Handlung
	        
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