Full text: Vorbuddhistische Zeit. Die hohe Kunst: Malerei und Bildhauerei (Band 1)

  
     
   
Ma Yuan — Kopien — Menschen — Landschaften 2929 
Immer wieder sehen wir, wie die Kopie in Asien geschätzt wird. Während 
der westländische Maler es unter seiner Würde hält, ein anerkanntes Bild nach- 
zuformen, und die Kritik daraus einen Vorwurf des Plagiates machen würde, 
haben östliche Künstler, wie die ebengenannten gefeierten Meister, ihren Stolz 
darin gesehen, ein Werk schaften zu können, das einem berühmten und an- 
erkannten Meisterwerke gleichkommt oder es vielleicht sogar übertrifft. Sie er- 
blicken den Wert des Kunstwerkes nicht im Inhalt, sondern in der Ausführung; 
daher kommt es auch, daß sich chinesische Landschaften trotz kleiner Unter- 
schiede oft sehr ähnlich sehen und, 
abgesehen von zufälligen Launen des 
betreffenden Malers, die ihm bei der 
Arbeit kommen, in der Grundidee, dem 
Aufbau und der Technik oft völlig 
gleichen. 
Auf dem Anglerbilde sehen wir 
die bunten Farben in zarte Töne ab- 
gestumpft. Das um den Nachen leicht 
plätschernde Wasser ist kaum ange- 
deutet. Das Interesse ist auf die Figur 
des Anglers gelenkt. Mit wenigen 
sicheren Strichen ist die Intensität bei 
der Arbeit vortrefilich herausgebracht. 
Das Auge des Fischers ruht auf der 
kurzen Angelrute mit ihrem Rade zum 
Aufrollen der im Wasser schwimmenden 
Schnur. Die vornübergeneigte Figur 
würde das Gleichgewicht verlieren, 
wenn nicht der lange Kahn mit dem 
strohbedeckten Hüttchen in der Mitte 
dem Auge einen Ausgleich bieten würde. 
In der Landschaft finden sich 
häufig Menschen, aber wir müssen 
unterscheiden, ob sie (Abb. 175) einen 
selbständigen Teil des Bildinhaltes aus- 
machen und von der Landschaft um- 
geben sind, oder ob sie nur eine neben- 
sächliche Staffage in der Landschaft 
(Abb. 176, Taf. V, B) bilden. Wir sehen 
ö ] B . k . Abb. 175 Der Priester Chingliang mit seinem Diener, 
den einzelnen aum ın NOTTISef,  inleichten Farben, von Ma Yuan, Hofmaler um 1190—1224 
eckiger Form dem Raume angepaßt und u 
trotz starker Stilisierung in lebensvoller 
Wirkung. Wie klein erscheint der Mensch gegenüber dem großen Waldriesen, dessen 
Wirkung durch die Fernsicht auf weite Berge und Nebel erhöht wird! Der träumende 
Philosoph bei mystischem Mondschein einsam auf der Bergeshöhe und über 
ihm der einzelne Baum, der mühselig sein Leben im Felsen fristet und seine 
Äste dem Licht entgegenstreckt. Alles übrige ist ausgefüllt mit Luftperspektive, als 
Symbol der Ewigkeit. Nichts hindert den Blick, in die unfaßbare, nebelhafte Ferne 
zu streifen, die vom Monde notdürftig beleuchtet wird, nichts gibt den Gedanken 
eine bestimmte Richtung. Das träumende Versenken in Himmel, Luft und Wolken, 
in das Nichts und doch zugleich in die Allmacht der Natur: das ist der 
taoistische Gedanke der zeitgenössischen Philosophen, das ist die lyrische Stim- 
mung der Dichter. Derartige Stimmungsbilder sind damals zahlreich geschaffen. 
  
  
    
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
   
  
   
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
 
	        
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