Yen Hui — Religiöse Figuren 259
Taoismus. Der Phantasie war ein freierer Spielraum geschaffen und Figuren
entstanden, die unter der Hand geringerer Künstler leicht zur Karikatur wurden.
Yen Huis in Japan berühmteste Bilder sind zwei Hermiten (Abb. 212), bei denen
die gute, künstlerische Tradition bewahrt ist. Der große Luftraum, die ange-
deuteten Bambusstämme und Felsen in weich getönter Tusche, geben eine
stimmungsvolle Umrahmung der linear behandelten Menschengestalten. Linien
und Farben fließen harmonisch zusammen, wie auf besten Bildern der Sungzeit.
Die Köpfe sind dem Vorwurf entsprechend stark unchinesisch charakterisiert,
aber nicht häßlich. Der starre Blick,
ebenfalls völlig unmongolisch , ist lebendig
zum Ausdruck gebracht. Dennoch werden
wir bei genauem Vergleich mit den älteren
Meistern einen Unterschied herausfühlen, als
wenn der Linienfluß nicht so natürlich, das
Seelenleben weniger tief erfaßt und die Wir-
kung durch Äußerlichkeiten gesteigert wäre.
Noch stärker können wir den neuen
Stil in einem anderen Bilde (Abb. 213) er-
kennen, das ebenfalls Yen Hui zugeschrieben
Abb. 213 Drei Hermiten (japanisch: Sennins) in Abb. 214 Brandung bei Mondschein, farbig, in braunen
getönten Farben, etwa 1,7 m hoch, zugeschrieben und grünlichen Tönen mit goldenem Mond, auf Seide,
Yen Hui, 13. Jahrh. etwa 30 em hoch, von Yen Hui, 13. Jahrh.
(Aus: Kokka, Heft 207) (Aus: Kokka, Heft 164) — Vgl. Abb. 230
wird. Nach verbürgten Nachrichten ist das Bild im 15. Jahrhundert nach Japan
gekommen, und fast erscheint es, als wenn es kaum früher als im 14. Jahrhundert
gemalt ist. Der getönte Hintergrund mit der stimmungsvollen Luftperspektive
fehlt. Die Handlung tritt in den Mittelpunkt des Interesses. Die Linienführung
ist härter und konventioneller, die Gestalten lösen sich nicht von einander, und
das ganze Bild wirkt unruhig. Die Figuren sind nicht mehr als Ausdruck einer
Idee, sondern als zufällige Personen eines erzählenden Genrebildes aufgefaßt.
Aber die Technik bewahrt noch manches von dem älteren Stil.
Die Betonung der Linien in Verbindung mit der klassischen Wolken-
tönung finden wir auf einer Brandung bei Mondschein (Abb. 214), die eben-