Landschaft — Genrebild — lllustration a8l
malt im 14. Jahrhundert einen Sommertag, aber er wendet andere Mittel an als
die Sung- (Abb. 176) und die Yuan- (Abb. 224) Meister. Während dort die kleinen
Menschenfiguren nur zur Steigerung der Naturstimmung dienten, sind sie hier
zum Mittelpunkte, zum eigentlichen Träger des Inhaltes geworden, während die
Natur nur eine Kulisse bildet. Unter einem schattenspendenden Baume sitzt in
bequemer Stellung ein bärtiger Mann, neben ihm steht ein großes Gefäß, aus dem
der Diener die Trinkschale füllt, während andere ein Musikinstrument herbei-
bringen. Ein jüngerer Gefährte hat die Schuhe abgelegt, um die Füße im Berg-
bach zu kühlen. Es ist eine Genreszene in liebenswürdiger Momentdarstellung.
Und hinten sehen wir ohne innere Zugehörigkeit zum Vordergrunde, nur
um eine Tiefe zu erzielen, eine hügelige Landschaft gezeichnet, aus der der Bach
zuerst im steilen Fall, dann in gewundener Linie sich nach vorn schlängelt. Die
Abbildung ist nach einem japanischen Farbholzschnitt, in dem alle Linien etwas
hart gezeichnet sind. Eine mechanische Reproduktion!) läßt die weichen Töne
und zarten Übergänge des Originales besser erkennen. Es ist eine gute Malerei mit
den technischen Mitteln der Sungzeit, aber die Stimmung ist mehr durch die Hand-
lung der Menschen als durch die Lufttönungen gegeben. Mit sorgfältigem Pinsel
sind die einzelnen Teile gemalt, aber dennoch ohne eine großzügige Wirkung!
Delikater und graziöser ist dasvon Kiuching in der Mitte des 14. Jahrhunderts
gemalte Gastmahl (Abb. 243) des berühmten Dichters Li Taipo. Es ist eine Illustration
zu Versen von Li: ‚Eine Nacht, in der die schönen Blumen duften und ein leichter
Nachtwind kühlt, ist uns vom Himmel zu unserer Freude gegeben. Deshalb können
wir dann nichts Besseres tun, als fröhlich zu sein, die Lichtkerzen anzuzünden, das
Weinglas zu erheben und zu dichten. Wer aber keine Verse machen kann, der
muß drei Gläser Wein trinken, wie es einst im Gartenfest zu Kinkuh geschah.“
Diese letzten Worte nehmen Bezug auf eine Veranstaltung, die aus dem 3. Jahr-
hundert in der damaligen Hauptstadt Honan beschrieben ist und deren Kenntnis
aus der klassischen Literatur als bekannt vorausgesetzt wird.
Li Taipo sitzt mit seinen drei Brüdern am Tisch, und Diener bedienen,
während zwei hohe Laternen als Lichtspender dargestellt sind, aber in Wirklich-
keit gar nicht leuchten, vielmehr läßt ein unsichtbarer Mond alles deutlich er-
kennen. Diese flott bewegte Szene ist von blühenden Bäumen umgeben, während
nach hinten sich der Palastbau in hochgezeichneter Perspektive ausdehnt. Auch
hier ist der Hintergrund wohl nur hinzugefügt, um die Wirkung durch die Ver-
tiefung des Raumes zu erhöhen. Wie fein ist die Abtönung des im Nebel fast
verschwimmenden Hintergrundes gegen die hellschimmernden Gewänder und die
bunt leuchtenden Baumblüten! Jede Figur und jeder Ast ist mit Liebe und
Sorgfalt ausgeführt: eine wundervolle Miniaturmalerei trotz der stattlichen Größe
des Bildes von zwei zu einem Meter. Das Auge gleitet nach allen Seiten über
die einzelnen Teile und wird ergötzt durch die Weichheit der Töne und die Grazie
der Linien. Die Komposition ist kompliziert, aber die Verknüpfung von Vorder-
und Hintergrund ist fein empfunden und läßt die einzelnen Teile harmonisch
zusammenklingen. Eine gewisse Einheitlichkeit des Inhaltes und der Form bleibt
angestrebt, wenn auch die Mittel komplizierter geworden sind.
Eine Abschiedsszene vor dem Landhause (Abb. 244) an einem Frühlings-
morgen von Liu Chun sieht auf den ersten Blick wie ein Bild aus der Sungzeit
aus. Aber bei genauerer Betrachtung sehen wir auch hier die Eigentümlichkeiten
des frühen Mingstiles. Die einzelnen Teile des Vordergrundes sind sehr sorgfältig
durchgeführt, und der Hintergrund ist völlig willkürlich angefügt, wahrscheinlich
soll das Brückenhaus, das, statt im fernen Nebel zu verschwinden, ganz deutlich
1) Abbildung in Tajima, Selected relics of Japanese art, Bd. XVII.