320 Mandschuzeit (seit 1644)
seiner Eitelkeit ansieht. Er ahnt nicht, daß der besiegte Chinese in einem Vers,
in einem kleinen Landschaftsbildehen sich ein wertvolleres und dauernderes Denkmal
gesetzt hat, als die metergroßen Handwerkerarbeiten jemals vermögen. Vielleicht
weiß er es! Aber ein Cäsarenwille kann Städte erbauen und vernichten, kann
Riesenmauern bemalen und seine Macht in der Welt verkünden, aber er kann
nicht einen einzigen Vers dichten oder ein Bild malen, das die Seele des Volkes
erschüttert und noch lebendig wirkt, wenn seine Taten längst vergessen sind.
Von dieser Kunst, die sich überall durch ihre Massen und oft durch ihre
Dimensionen vordrängt, will ich nicht sprechen, sondern nur von jener hohen
Kunst, die dem Schema der alten Tradition sich anpaßte. Im wesentlichen sind
die Vorzüge und besonders die künstlerischen Fehler des späten Mingstiles weiter
ausgebildet. Verfeinerte Einzelausführung, geschmackvolle Flächenfüllung, ge-
schickte Verbindungen der oft nur lose zusammengehörenden Teile, raffinierte
Technik und dennoch nur liebenswürdige, keine großzügigen Wirkungen. Alles
in allem die Kunst einer feinfühligen Verfallzeit, die nur noch aus Freude an
der ästhetischen Dekoration, nicht aber als Ausdruck einer tiefempfundenen Welt-
anschauung: ihre Werke schaft.
Nicht nach der Natur wurde gemalt, sondern nach dem Kanon, den einst die
großen Meister geschaffen hatten. Zum Unterricht und als Vorlagen der Schüler wurden
zahlreiche Bücher herausgegeben, die ausgesuchte Studien nach berühmten Meistern
enthielten. In dem berühmten Katalog von der Sammlung des Kaisers Huitsung
(S.249) waren die Gemälde in zehn Abteilungen nach den dargestellten Motiven auf-
geführt. Diese Einteilung wurde im wesentlichen beibehalten. Wir finden viele Hefte
mit Abbildungen der Götter, Buddhaschüler, Kaiser und Weisen mit ihren Attri-
buten und den für sie charakteristisch gewordenen Stellungen. Die Körper werden
in ihren einzelnen Teilen ausführlich behandelt. Augen, in verschiedenen Stel-
lungen und nach Altersklassen geordnet, Ohren, Nasen, selbst Bartformen, Köpfe
mit verschiedenen Frisuren und Kopfbedeckungen, Gesichter in mannigfaltigen
Verkürzungen von oben oder von unten gesehen, kurz alle Möglichkeiten, die
nach der Tradition auf Bildern vorkommen können, sind sorgfältig wie in einem
Lexikon registriert.
Mit besonderer Sorgfalt sind die Pflanzenstudien behandelt. Ganze
Hefte sind dem Bambus, der Pflaumenblüte, dem Chrysanthemum und den
Gräsern — den vier Lieblingsmotiven — gewidmet. Von den einzelnen Staub-
fäden und Blütenblättern bis zur üppigen’ Staude und dem fertig komponierten
Bilde sind alle Zwischenstufen dargestellt. Wir sehen den Bambus, wie er in jungen
Trieben hervorsprießt und wie er als Baum vom Sturm gepeitscht wird. Die
Blumen sind einzeln, an Zweigen, in ganzen Stauden, auf Felsen und als Still-
leben in Schwarz und Bunt gedruckt. Dann kommen Vögel, Schmetterlinge,
Insekten, bald einzeln, bald in Verbindung mit Blumen. Und schließlich Berg-
formationen und fertig komponierte Landschaften. Es sind alle vorgezeichnete
Einzelteile, die nur von geschickter Hand nachgeformt und zum Bilde zusammen-
gesetzt zu werden brauchen. Es fehlen — soweit mein begrenztes Material erkennen
läßt — die großen Tiere, wie Elefanten und Kamele, sowie die symbolischen
Tiere, wie Phönixe und Tiger, dagegen sind Drachen vorhanden, die als Ornament
überall verwendet werden. Die Darstellung erstreckte sich somit fast ausschließ-
lich auf die Vorbilder der umgebenden Natur.
Diese Vorlagen entsprachen der erstarrten Konvention und sind für die letzten
Jahrhunderte, in denen kein großes, bahnbrechendes Malgenie geboren wurde, das
feststehende Gesetz. Jede Abweichung war verpönt. Die Bilder dieser Zeit sind im
wesentlichen nichts weiter als mehr oder minder geschickte Zusammenstellungen
von Einzelkopien. Alle Stricharten werden auswendig gelernt und nachgeformt.