99 Bronzezeit
Zwischen diesen geometrischen Mustern sind zahlreiche Tiergestalten ange-
bracht. Nicht handelt es sich um realistische Darstellungen nach der Natur, sondern
um stilisierte Tierornamente, die kaum eine Spezifizierung der einzelnen Tiere ge-
statten: Vögel mit merkwürdig geformten Schwänzen, Vogelköpfe mit Raubtier-
schnabel und großen runden Augen, langgestreckte Reptilien, Vierfüßler oder deren
Köpfe mit und ohne Geweihansätze. Sehr charakteristisch wird eine Art Ochsen-
kopf ausgestaltet. Vereinzelt kann man besonders an plastisch geformten Henkeln
(Abb. 6) die Tiergattung erkennen, aber meist ist es nur eine rein ornamentale
Dekoration. Die einzelnen Teile des Kopfes werden verschieden behandelt; oft sind
der Nasenrücken und die Augen wiedergegeben, bis auch sie zu einzelnen Ornamenten
aufgelöst werden, so daß nur die sich gegenüberstehenden Augen übrig bleiben.
Bei einer anderen Gruppe wird gerade das Maul breitgezogen (von den Chinesen
Tautie—Vielfraß genannt), und bei plastischer Darstellung entwachsen dem ge-
öffneten Maule sehr oft die Füße und Henkel der Gefäße.
Die Schriftgelehrten der Chinesen bemühen sich, diesen durch die Tradition
geheiligten Ornamentsymbolen Erklärungen ihrer Entstehung und Deutungen
zu geben. So werden in den Reptilien gewisse Drachen gesehen, in den Vögeln
der Phönix, und die runde und geeckte Spirale wird von dem ältesten Hieroglyph
für Donner abgeleitet. Aber in Wirklichkeit sind das willkürliche Auslegungen einer
viel späteren Zeit, als alles, was rein mechanisch in Nachahmung fremder Vorbilder
entstanden war, bedeutungsvoll erklärt werden sollte. Zwar wird in der alten
Literatur vom Phönix und Drachen gesprochen, aber noch gab es keine feststehende
Darstellung für sie, und die Spirale, die wirschon auf den steinzeitlichen Ainos-
vefäßen trafen, ist viel älter als die uns bekannten chinesischen Schriftdenkmäler.
Sie ist wahrscheinlich in der westlichen Heimat durch die Technik des Einlegens
von Silberdraht auf Metall entstanden, und ihre Ausführung beim Guß wurde in
viereckiger Gestalt bevorzugt, da sie in dieser Form leichter in die weiche Gußform
eingegraben werden konnte. Von bewußter Symbolik kann in dieser frühen Zeit
gar keine Rede sein. Wir können vielmehr annehmen, daß einst die Vorbilder
als gut beobachtete fremdländische Studien nach der Natur geschaffen oder durch
gewisse Techniken bedingt waren und erst bei der Uebertragung nach China die
kopierenden Handwerker ihren derzeitigen technischen und kulturellen Verhält-
nissen entsprechend die Studien der fremden Künstler zu unverstandenen Orna-
menten gestalteten, die in fortgesetzter Kopie nach Kopien immer mehr zu einem
sinnlosen, aber dekorativen Liniengefüge wurden.
Verhältnismäßig mehr naturalistisch sind die plastischen Teile der Gefäße,
wie Vogelköpfe als Henkel, Ausgüsse und Deckel, Köpfe an den Henkeln und
Füßen und vor allem die Opfergefäße, welche in der Gestalt der Tiere dargestellt
sind, deren Blut sie aufnehmen sollten. Wir finden neben Schwänen und nicht er-
kennbaren Vögeln und Vierfüßlern eine Art diekbauchigen und kurzbeinigen Hippo-
potamus, wie er in ganz ähnlicher Form in türkisblau glasiertem Ton in Ägypten
aus dem Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. vorkommt.!) Auch dort ist der ganze
Körper mit einem ähnlichen unruhigen Liniengefüge überzogen, nur ist in China
der Bronzetechnik entsprechend statt der schwarzen Malerei eine reliefartige Aus-
führung gewählt. Wegen der einzelnen Formen weise ich auf das Kapitel über Bron-
zen im zweiten Bande hin.
Nachdem wir einmal aus dem Wolkenmuster einen bestimmten Anhalt für
Mykenä als das Mutterland dieser Verzierung in der chinesischen Bronzekunst
erhalten haben, können wir umgekehrt an Hand der heute gut gekannten myke-
nischen: Kultur vergleichen, welche sonstigen Einrichtungen in China mit den
!) Sammlung im Louvre, Paris, der XI. Dynastie zugeschrieben.