Full text: Vorbuddhistische Zeit. Die hohe Kunst: Malerei und Bildhauerei (Band 1)

   
Spiegel — Fliegender Galopp bb 
verbreitet hat, wo sich ein Herd westlicher Kulturentfaltung unter den Fürsten des 
griechisch-baktrischen Reiches gebildet hatte“, 
Diese Ausführung ist sehr zutreffend, nur erscheint es mir nicht notwendig, 
daß gerade griechische Kunst das Vorbild gegeben haben muß. Das Motiv der Wein- 
traube ist im Westen durchaus häufig verwendet; z. B. schon auf einem hethitischen 
Felsrelief zu Ibriz trägt ein Mann nicht nur Weintrauben im Gürtel, sondern auch 
Schnabelschuhe in chinesischer Form, aber trotzdem will ich nicht etwa einen Ein- 
fluß von dort behaupten. Ich will nur andeuten, daß bei dem regen Handelsverkehr 
nicht von einzelnen Ländern oder Völkern gesprochen werden darf. Sicher ist nur, 
daß eine reife Kunstform der Weintraube aus dem Westen nach China kam. 
Reinach weist sogar auf die Unwahrscheinlichkeit des griechischen Einflusses 
hin, da zwischen den Ranken der Spiegelmuster auch jene Pferdedarstellung im ‚‚£lie- 
senden Galopp“ vorkommt, 
die wir auf den Steinreliefs (Abb. 25) 
kennen gelernt haben und die in 
Griechenland völlig unbekannt 
war. In einer sehr interessanten 
Studie hat Reinach !) wohl ein- 
wandfrei nachgewiesen, daß gerade 
diese scheinbar nebensächliche 
Auffassung der Tiere in schneller 
Gangart für das Studium der Kunst- 
zusammenhänge von ausschlag- 
gebender Bedeutung ist. Die inter- 
essanten Ausführungen, die er an 
Hand eines sehr umfangreichen 
Materials beweist, gipfeln darin, 
daß der fliegende Galopp in der 
Kunst Ägyptens, Assyriens, Grie- 
chenlands, Etruriens, Roms,?) in 
der romanischen und gotischen 
Kunst, sowie in der Renaissance 
  
und ım Rokoko Europas völlig Abb. 39 Löwen und Vögel zwischen Rankenornamenten 
2 : mit Trauben, Rückseite eines Bronzespiegels, Zeich- 
unbekannt ist, dagegen in der nung aus Seishi Kokkan, Stil Hanzeit 206 v. Chr. 
mykenischen Kunst schon Jahr- bis 221 n. Chr. 
tausende vor Christus häufig vor- 
kommt und sich später in persischen, baktrischen, skythischen und japanischen 
Arbeiten findet und in China seit der Verfertigung der Traubenspiegel und der 
Steinreliefs bekannt war. Im Jahre 1794 findet sich zum ersten Male in Europa 
auf englischen Drucken der „fliegende Galopp“ zur Darstellung von Rennbildern 
angewendet. Dieses überraschende Ergebnis teilt also gleichsam die Kunst der 
Welt in zwei mächtige Ströme, von denen der eine von Mykenä über ganz 
Nord- und Ostasien sowie Südrußland flutete, während der andere seinen 
Weg von Assyrien und Ägypten über die Gebiete des europäischen Kunstfleißes 
suchte. 
1) S, Reinach, La representation du galop dans l’art ancien et moderne. Revue 
archöologique, Paris 1900—1901. 
2) Allerdings habe ich inzwischen in dem reichhaltigen Römer-Museum zu Speyer 
Tonschalen gefunden, auf denen Hirsche in „fliegendem Galopp“ in Relief abgeformt 
sind. Immerhin sind es vereinzelte Ausnahmen, während in China diese Darstellung 
sehr häufig ist. (Abb. 25, 30, 36, 38 u. s. w.) Münsterberg, Influences oceidentales dans 
lart de l’Extr&me-Orient, Paris 1909, S. 12, Taf. XI. 
    
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
     
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
   
   
  
  
   
  
   
	        
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