58 Hanzeit — Mittelasiatischer Mischstil
Runde Vorratstürme sind heute noch in Indien in Gebrauch und scheinen
in alten Zeiten über weite Strecken Asiens verbreitet gewesen zu sein. An
den Turmurnen und den von ihnen abgeleiteten Formen (Abb. 45, 46) finden
wir eigenartige Tierfüße, die Laufer!) durch Vergleich vieler Originalstücke als
Bären erkannt hat. Auch im Pokutulu werden Füße an Bronzeurnen als „Bären-
füße“ bezeichnet, und es wird hinzugefügt, daß derartige Verzierungen seit der
Tsin- und Hanzeit an gewissen Gefäßen und Siegelgriffien aufkamen. Die Wert-
schätzung des Bären als Symbol der Kraft ist aber viel älteren Ursprunges.
Abb. 44—46 Gefäße aus Ton in Form runder Getreidespeicher mit Ziegeldach. 44 viereckiges Dach, Treppen-
zugang, unten Tiergestalt. 45,46 runde Urnen auf „Bären“füßen mit rundem Dach. Totenbeigaben aus Gräbern
der Hanzeit, 206 v. Chr. bis 221 n. Chr.
(Aus Laufer, Chinese pottery of the Han Dynasty, Taf. IX u. Fig. 12)
Wir finden dieses stattlichste Wild der noch ungestörten Wälder sowohl bei den
Germanen verehrt, bis es in seiner Rolle als Tierkönig durch den fremdländischen
Löwen verdrängt wird, ebenso wie noch heute bei den steinzeitlichen Ainos
(s. 8.12) in Japan das Bärenfest gefeiert wird. Es scheint, daß der Bär m dem
Kulturkreise der jüngeren Steinzeit allgemeine Verehrung genossen hat.
Analogien konstruiert werden, abzuleiten. So z. B. sucht Schuchhardt (Das technische
Ornament in den Anfängen der Kunst, Prähistorische Zeitschrift, 1909, Bd. I, S. 37)
das Urvorbild für Form und Dekor der neolithischen Tongefäße in Nordwestdeutschland
in der Korbflechterei, und im südöstlichen Europa in den Naturformen der Gurke und
des Kürbis, Derartige wenn auch noch so geistvolle Theorien sind aber in der Praxis
kaum beweisbar. Bei allen komplizierteren Formen, den wirklichen Kunstformen, ist
jedenfalls eine ganz andere Entwicklung in Wirklichkeit eingetreten.
Wir sahen, wie die Form der Sauciöre aus der Hirschnachbildung (Abb. 14—16), das
runde Bügelgefäß aus der Brunnenform (Abb. 40—43) und das zylindrische Gefäß aus der
Reisspeicherarchitektur (Abb. 4448) entstanden ist. Überall war ursprünglich aus kom-
plizierten Anschauungen und Sitten heraus das Vorbild der Natur naturalistisch nach-
gebildet, und dann in fortgesetzter Nachahmung, unter gleichzeitigem Verlust der ur-
sprünglich wirkenden Ideen, schliff sich die reiche, naturalistische Form zu einer einfachen,
ornamentalen Gebrauchsform ab. Es ist immer der gleiche Entwicklungsgang, den wir
wiederholt beobachten können (s. 8. 24). Nur eine Ausnahme gibt es, nämlich die
wirklich primitiven Gerätschaften, die Steinwaffen und Töpfereien, die in der Praxis eine
fast stillose Gebrauchsform erlangten; aber sobald Kunstformen, selbst einfachster Art,
vorkommen, kann immer ein ursprünglich naturalistisches Vorbild angenommen werden.
1) Laufer, Chinese pottery of the Han Dynasty, 8. 57.
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