99 Das Kunstgewerbe
Daneben scheinen zu allen Zeiten bis zur Neuzeit alte Stücke auch direkt kopiert
worden zu sein. Bei Bronzen sind vielleicht auch Nachgüsse gefertigt, in denen
das Original in die Gußform eingedrückt wurde. Besonders zu gewissen Zeiten des
Antiquitätensammelns — ganz wie bei uns — sind direkte Nachahmungen der alten
oeschätzten Originalarbeiten ausgeführt worden. Auch bei diesen Stücken dürfen
wir nicht von Fälschungen sprechen, denn zum Beispiel in den japanischen Annalen
lesen wir wiederholt, daß Handwerkern ein Ehrentitel verliehen wurde, weil sie
eine chinesische Töpferei so vorzüglich nachgeformt hatten, daß man die Kopie
nicht vom Original unterscheiden konnte. Derartige kunstvolle Nachahmungen
waren vielleicht schwieriger und zeitraubender herzustellen als die Originale selbst;
sie wurden daher als kostbare Seltenheiten diesen gleichwertig geschätzt. Wesent-
lich ist, daß solche Nachahmungen nicht fabrikmäßig und nicht in gering-
wertigem Material oder in schlechter Technik ausgeführt wurden; die Arbeiten
waren zwar keine Originale für den, der eine Sammlung nach dem Alter der Gegen-
stände anlegte, aber für den Kunsthistoriker kann eine gute, dem Original gleich-
wertige Einzelkopie denselben Wert wie das Original bedeuten. Wie wir z.B. im
Kapitel über Porzellan sehen werden, behaupten viele Forscher, daß die Porzellane
des 17. Jahrhunderts, die in Form, Dekor und Signierung den Mingstücken nach-
gemacht wurden, letztere sogar an Qualität übertroffen hätten.
Wir lernen hieraus ein Gesetz kennen, das unseren europäischen Begriffen völlig
widerspricht, oder das wir doch nur bei kirchlichen Arbeiten vereinzelt anwenden.
Wir wollen stets das Neue, das sich der sozialen und technischen Entwicklung an-
paßt, aber der Chinese will keinen politischen und sozialen und daher auch keinen
technischen und künstlerischen Fortschritt. Daß in Wirklichkeit die Zeit der Ko-
pisten nicht mit gleicher Kraft und Großzügigkeit schaffen kann wie die Zeit der
erfindenden Ahnen und daher minderwertige Ware erzeugt, ist zwar eine Tatsache,
aber kommt der ausführenden Generation nicht zum Bewußtsein.
Nachbildungen, Wiederholungen im jeweiligen Zeitstil und Kopien
sind bei guter Qualität künstlerisch den Originalen gleichzuschätzen, insofern sie
von Künstlern ausgeführte Einzelwerke sind. Besonders für den Kultus ist während
Jahrtausenden eine unübersehbare Fülle von ähnlichen Gegenständen geschaffen,
die immer an Material, Form und Dekor im großen und ganzen gleich sind, aber
in der Qualität und im Detail der Ausführung sich unterscheiden.
Die Technik des Steinschlifis in seiner Einzelarbeit, der Bronzeguß in ver-
lorener Form, sowie die Glasurtöpferei in der vom Zufall des Feuers abhängigen
Farbe schließt jede Massenfabrikation eines Modells, wie der Guß in Formen es
gestattet, völlig aus. Also kleine Abweichungen sind durch die Technik bereits bedingt
und tatsächlich bei jedem Stück vorhanden, so daß es sich im technischen Sinne
stets um Originalarbeiten handelt. Erst in der modernen Zeit, unter europäischem
Einfluß sind minderwertige Fabrikate entstanden, die wirkliche Fälschungen
im europäischen Sinne sind.
Es bestand also nicht der Wunsch, stets etwas Neues zu schaffen, sondern
im Gegenteil der Wunsch war, das neue Stück in alter Form zu geben. So
wurden die alten Verzierungen immer und immer wieder kopiert. Aber
wenn Kopien von Kopien in fortgesetzter Reihe gemacht werden, so wird sehr
bald — wir können täglich an uns selbst die Beobachtung machen — die ur-
sprüngliche Vorlage völlig unkenntlich, so daß schließlich Ornamente entstehen, die
sinnlos erscheinen.
Die ältesten Verzierungen Chinas auf Kultgefäßen aus Bronze, die nicht als
primitive Kulturbetätigung aus ältester Zeit angesehen werden dürfen, sind in
Wirklichkeit nicht der Anfang, sondern der Ausklang einer ursprünglich natura-
listischen Darstellung. Als wieder mehr realistische Kunstströmungen aufkamen,