Allgemeines 95
wurde den alten Linien und Ornamenten nach Gleichnissen in der Natur eine neue
Gestaltung verliehen, und es entstanden entweder neue Bilder oder jene Phantasie-
gestalten, welche überall Träger einer mystischen Symbolik wurden. An dem Stil
derartiger Verzierungen können wir ihre Entstehungszeit und eine Entwicklung
der Ornamentik feststellen. Aber daneben blieben gleichzeitig andere Handwerker
dem alten Schema treu und schufen immer von neuem in der Tradition erstarrte
Formen und Verzierungen.
Bei der Wertschätzung, die in ihrer Symbolik Stein-, Ton- und Metall-
arbeiten neben den Malereien schon in vorchristlicher Zeit genossen, war es nur eine
natürliche Entwicklung, daß derartige Werke als Geschenke des Kaisers an Prinzen,
hohe Beamte und Generale dienten. Die uralte Sitte der Verteilung von wertvollen
Geschenken durch den Fürsten aus Freundschaft und zur Belohnung ist in einer
modernen, demokratischen Zeit durch Gehälter, Orden und Titel ersetzt. In
China hat sich aber die alte Sitte in gleicher Bedeutung erhalten, und es
werden noch heute sowohl moderne als auch antike Bilder und Kunstgegenstände
verschiedenster Art, besonders auch Stoffe verschenkt.!) Kaiserliche Manufakturen
!) Um eine Vorstellung von der weiten Verbreitung dieser Sitte zu geben, bringe
ich die Traueranzeige (Chinesische Totenklage, Tägliche Rundschau, 16. August 1908)
zum Abdruck, die Herzog Kung dem kaiserlichen Gouverneur Truppel in Tsingtau
überreicht hat:
Traueranzeige des Herzogs Kung ling yi in Tsinanfu an den kaiserlichen Gouverneur
Truppel in Tsingtau:
Die Leiche ist aufgebahrt in der Wohnung in der Nähe des Südtores der Innen-
stadt von Tsinanfu.
Ich, Kung ling yi, melde, daß das Unheil ereilt hat: meine erhabene Mutter, die
durch kaiserliche Huld mit dem ersten Beamtenrang ausgezeichnete Herzogin K’ung vom
Stamme P’eng. Durch kaiserliches Edikt hat Ihre Majestät die Kaiserin-Witwe von ihr
erklärt, tugendhaft und lauter sei ihr Herz gewesen und sie hätte es verstanden, ihren
Sohn zu erziehen. Ihre Majestät hat ein Totenopfer für die Verblichene angeordnet und
2000 Taels für die Trauerfeier gestiftet. Im Jahre 1894 befahl Ihre Majestät die Kaiserin-
Witwe meine Mutter zu ihrer Geburtstagsfeier nach Peking, verlieh ihr das Recht, in
einer Sänfte mit zwei Trägern sich zu Hofe tragen zu lassen, gewährte ihr huldvollst in
Ning schou kung (Palast der Ruhe und des langen Lebens in der verbotenen Stadt), zu
wohnen und weibliche Dienerschaft mit sich zu führen, stellte ihr acht Eunuchen zur
Bedienung, ließ sie aus der kaiserlichen Küche verpflegen, schenkte ihr Milchkuchen, eine
Tafel Früchte, Wassertabak, Wein, Milchtee, Salzgemüse, einen goldenen Ring,
18 durchsichtige Nephritsteine und einen Nephritring. Auch ein Gast-
mahl mit Theateraufführungen gab Ihre Majestät meiner Mutter zu Ehren, ließ Drachen-
tänze aufführen, schenkte ihr ein eigenhändig gemaltes Bild, eine Land-
schaft mit Fichten und Reihern darstellend, und eine selbstgeschrie-
bene Wandrolle mit einem großen „Schou“ (langes Leben)-Zeichen, ein
Staatsgewand,zweiSortimente Kämme ausElfenbein, einPaar goldene
Armbänder, einen Ring mit goldgefaßtem klarem Nephrit, einen gol-
denen Ring, einen Ring mit goldgefaßter Perle, einen Kalender, eine runde
Konfektschachtel, Walnußgebäck, Apfel, Milchweißbrote, vierzehn Pack Wassertabak, eine
Tafel mit denZeichen „Glück“ und „langes Leben“, ein Bild mitflachen
Pfirsichen, schwarzblaue Tschekiang-Seide zu einem langen Rock,
rotbraune Tschekjiang-Seide mit runden „langes Leben“-Ornamenten
zu einem langen Rock, eine Rolle Seidenstoff, ein gesticktes farbiges
Tuch, ein Kopftuch aus schwarzer Seidengaze, einen Kamm aus Elfen-
bein, einen Teller aus fremdemLack,eine langeRolle eigenhändigvon
Ihrer Majestät mit einem großen „Schou“ (langes Leben) beschrieben,
rotbraune Tschekiang-Seide, Stoff zu einem Staatsgewande mit gol-
denen Drachen besticktinfünfFarben(Grün, Gelb,Rot, Weiß,Schwarz),