Literatur — Buchabbildungen 101
Schon früher (Bd. I, 8. 14) habe ich darauf hingewiesen, daß die D atierungen
dieser Kataloge mit aller Vorsicht zu benutzen sind. Bei der Beurteilung des
Alters eines Bronzestückes ist doch die Hauptsache der Guß, die Patina und vor
allem die stilistische Einzeldurchführung. Die Abbildungen der angeführten Werke
nehmen aber auf Erhaltung und Ausführung gar keine Rücksicht und geben die
dargestellte Verzierung in einer scharf umgrenzten Konturlinie im Stile der Sung-
zeit. Wir sehen ein Liniengefüge in Gestalt stilisierter Tiere, Drachen u. a., genau
wie sie noch heute auf Bronzen häufig vorkommen. Wenn wir aber die Ausführung
dieser traditionellen Motive auf Stücken verschiedener Zeiten vergleichen, so
können wir — wenigstens häufig — an der Tiefe des Reliefs, an der glatten oder
gerundeten Oberfläche, an der Schärfe der Kanten, an der Ziselierung der Gußform
im Detail, an der Stilisierung von Einzelheiten gewisse Anhaltspunkte für eine
unterschiedliche Zeit der Ausführung gewinnen. Die Technik der Konturzeichnung
verhindert, daß derartige Unterschiede erkennbar werden.
Ebenso wird die Oberfläche des Metalles und die Patina in Glanz, Farbe, Stärke
und Ausdehnung uns mindestens bei der Beurteilung der Qualität des Materials
von hervorragender Bedeutung sein. Allerdings sind Rückschlüsse auf die Zeit der
Herstellung aus dem Zustande des Materials sehr gewagt, und ich glaube fast,
daß bei der Beurteilung vieler Bronzen in bezug auf diesen Punkt mehr Meinungen
aufgestellt werden als bewiesen werden können. Vorläufig fehlt uns jeder Anhalt,
um eine Patina von 1000, 2000 oder gar 4000 Jahren zu unterscheiden, wenn über-
haupt Unterschiede vorhanden sein sollten. Ferner ist doch eine Bronze, die Jahr-
hunderte in feuchter Erde gelegen hat, durch die örtlichen Einflüsse ganz anderen
chemischen Zersetzungen ausgesetzt als ein ins Wasser geworfenes oder in trockenem
Sande gebettetes Stück. Wiederum eine ganz andere Wirkung wird die Luft und
vor allem der Gebrauch hervorrufen. Ein Opfergefäß, das bei Wind und Wetter
jahrhundertelang auf freier Tempelterrasse gestanden hat, kann nicht die gleiche \
Erhaltung zeigen, wie z. B. die herrlichen Bronzeschätze, die, in seidene Beutel und
Kästen verpackt, Kaiser Shomus Witwe im Schatzhause zu Nara deponiert hat,
und die dort seit über 1100 Jahren sorgfältig bewahrt werden.
Eine Beurteilung der Patina müßte eigentlich mit einer genauen Kenntnis
der Lebensgeschichte eines jeden Stückes beginnen.
Dagegen ist in der stilistischen Gesamtauffassung eine Schätzung des Alters
vielleicht am ehesten möglich. Gerade dieser wichtigste Punkt der Kunstkritik
ist bisher weder in China noch in Europa genügend beachtet worden. Das einzelne,
stilisierte Ornament kann nach Vorlagen leicht kopiert werden, aber wie in der Ma-
lerei, so auch hier, wechselt das Gefühl für eine großzügige Gesamtkomposition,
dem das einzelne schmückend und veredelnd ohne lautes Vordringen sich unter-
ordnet, mit einer geistlosen Zusammensetzung einzelner traditioneller Motive ab. Wir
hatten den Entwicklungsgang in der Malerei kennen gelernt (Bd. I, 8. 158—297) und
können den Geist der einzelnen Zeiten bis zu gewissen Grenzen auch hier empfinden.
In der Zeit der „Dynastien‘“ (Bd.I, 8.158) begann das „Streben von der an
die Fläche gebundenen Dekoration loszukommen“, „die malerische Komposition
ganzer Gruppen wurde geschaffen, aber noch bewahrt das Gesicht etwas Typisches“.
Dieser Stil erreicht zur Tangzeit (S. 190) seine Vollendung, ‚‚die Ausführung geschah
in anmutiger und eleganter Weise“. Wenn wir unter diesem Gesichtspunkt z. B. die
Bronzespiegel betrachten, so werden wir an der weichen und runden Plastik der
Reliefverzierung mit der belebten und eleganten Komposition (Abb. 274) Arbeiten
des 8. Jahrhunderts sofort erkennen. Daher müssen wir annehmen, daß die ganz
ähnliche Ornamentik (Bd. I, Abb. 37—39) der Spiegel, die im Pokutulu der Han-
dynastie, also der Zeit 206 v. Chr. bis 221 n. Chr., zugeschrieben werden, eine ganz
andere Ausführung gehabt haben oder falsch bestimmt sind. Es ist wohl möglich,