102 Bronze — Allgemeines
daß schon in der jüngeren Hanzeit diese fremdländischen Vorbilder der Weinranke
und Löwen nach China gekommen sind, aber die Ausführung dürfte, den gleich-
zeitigen Steinreliefs und Töpfereien ähnlich, mehr ungeschickt, flach und primitiv
gewesen sein. Es war noch eine an die „Fläche gebundene Dekoration“, während
das kühne Hochrelief, die realistische Durcharbeitung, der elegante Linienschwung
und die weiche Rundung der Relieffläche der Tangspiegel wohl erst zu dieser Zeit
ihre bewundernswerte Vollendung erhalten haben.
Beweise für diese Anschauung gibt es keine anderen als die stilkritische Be-
trachtung der datierten Originalarbeiten, wie z. B. der Steinreliefs und der wenigen
durch Münzfunde datierten Bronzen (Abb. 172, 174). Wobei allerdings die Voraus-
setzung anerkannt werden muß, daß die Kunst der verschiedenen Techniken eine ein-
heitliche Ausdrucksform des Volkskönnens darstellt und daher auf allen beteiligten
Gebieten ähnliche primitive oder vollendete Stile herrschten. Ich habe dieses Beispiel
herausgegriffen, um zu zeigen, wie die mangelhafte Konturzeichnung in den Sung-
katalogen oft gar keinen Anhalt für die Ausführung des einzelnen Stückes in einer
bestimmten Zeit gibt; andererseits können wir aus dem Verständnis des jeweiligen
Malstiles einen Rückschluß auf die Datierung anderer Kunstprodukte ziehen, der
richtiger sein dürfte als die nach Tradition festgesetzten kritiklosen Zeitbestimmungen
der Chinesen.
Jeder Kopist eines Bildes legt ein Stück seines persönlichen Sehens in die Kopie,
und so kann die Zeit der Entstehung einer Kopie, trotz des ängstlichen Bestrebens
des Kopisten, das Original bis ins Kleinste nachzubilden, häufig an jenen unschein-
baren und vom Kopisten unbewußt beigefügten Änderungen erkannt werden. Wäre
es anders, so würden doch die Kopien den Originalen gleichwertig sem müssen.
Diese persönlichen unbewußten Abänderungen scheinen mir von dem Sungkünstler
in die Abbildungen des Pokutulu ebenfalls hineingebracht zu sein, so daß in der
Ranke und dem springenden Pferd als Motiv das Vorbild aus der späteren Han-
zeit, aber in der linearen Buchausführung der Stil der vollendeten Tangzeit zu
erkennen sein dürfte. An einzelnen Stellen vermeidet auch der Sungzeichner (Bd. I,
Abb. 34—36) die genaue Form; jedenfalls werden Grünspan und Rost überhaupt
keine genaue Zeichnung haben erkennen lassen. Ein Vergleich des ausgemalten
Originalexemplars des Kaisers mit Neudrucken zeigt besonders scharf den Unter-
schied zwischen den verschiedenen Buchabbildungen.
Wenn wir auf die Schilderung des Malstiles in seiner Weiterentwicklung in der
Mingzeit zurückgreifen (Bd. I, S. 297), so finden wir ebenfalls wesentliche Merkmale
zur Beurteilung der Werke des Kunstgewerbes. Die ‚einfache, einheitliche Kom-
position in der Art der Sung‘ wird mehr ‚dekorativ nach malerischen Gesichtspunkten
komponiert“ und ‚die einzelnen Teile des Bildes, besonders die nebensächlichen,
sind. sorgfältiger‘ ausgearbeitet. Es entspricht auch dem Bronzestil der Mingzeit,
daß die Einzelheiten mit oft raffinierter Technik schärfer herausgearbeitet werden
(Abb. 219, 231), aber es ist eine gekünstelte Zierlichkeit, die die große, ruhige Form
der alten Zeit auflöst. Die ‚einfache, einheitliche Komposition“, die in großzügiger,
edler Linienführung eine Bronzeurne gleichsam zu einer monumentalen, in sich ab-
geschlossenen Ausdrucksform erhob, war verloren gegangen.
Wenn man unter diesem Gesichtspunkte die Abbildungen im Pokutulu mit den
Datierungen vergleicht, so findet man ebenfalls Ungenauigkeiten. Auch hier ist
es möglich, daß die mangelhafte Zeichnung in harter bestimmter Kontur die Ursache
ist. Wie zum Beispiel ein Fuß an der Urne angesetzt ist, ist von erheblicher Bedeutung.
In der Verkürzung der Zeichnung kann eine Linie den Fuß etwas zu tief erscheinen
lassen, und die vornehme Ruhe der Linienführung ist gestört. Die organische Zu-
sammengehörigkeit im einheitlichen Guß scheint aufgelöst und Gefäß und Füße
wirken wie von einem geübten Techniker der späteren Zeit zusammengeleimt.