Literatur — Buchabbildungen 103
Dazu kommt, daß der Ansatz der Füße in Wirklichkeit weich und verlaufend ist,
während in der Zeichnung eine harte Linie die Grenze angibt.
Bei der Beurteilung des Zeitstiles erscheint mir gerade die Monumentalität
der Gesamtkomposition von ausschlaggebender Bedeutung. Ein Vergleich ver-
schiedener Stile sagt besser als Worte, was ich meine. Viele Gefäße (z. B. Abb. 151,
152, 157, 161) haben eine einfache großzügige, in sich abgeschlossene Form von
klassischer Ruhe und Größe; diese Stücke brauchen keine dekorative Aufstellung
mit Untersatz und Umgebung, sondern wirken wie ein kräftiger Charakter. Man
wird auch kaum auf die Einzelausführung achten, denn das Werk als Ganzes zwingt
zur Bewunderung. Daneben erscheinen andere Vasen des gleichen Stiles (z. B.
Abb. 162, 198, 203, 211) schon nicht mehr so ernst und vornehm. Die Ornamente
drängen sich in übertriebener Lebendigkeit auch durch die Schattenwirkung des
hohen Reliefs hervor, ohne in der Komposition dem Auge eine ruhige Linienführung
zu gewähren. Die Henkel sind nur angesetzt und nicht als organischer Teil aus der
Gesamtform herausgewachsen. Aber trotzdem steckt noch viel des guten alten
Geistes in den Stücken. Wiederum andere (z. B. Abb. 163, 183) zeigen die volle
Unruhe der überladenen, unorganisch zusammengefügten Einzelheiten eines jüngeren
Verfallstiles, obgleich die Technik viel kunstvoller und raffinierter als bei den älteren
Arbeiten ist. Diese an der Ausführung leicht zu erkennenden Unterschiede können
aber sehr wohl in der Konturzeichnung der chinesischen Werke fast alle als nach
einem gemeinsamen Modelle hergestellt erscheinen. Tatsächlich finden sich auch
im Pokutulu einzelne fast gleiche Zeichnungen für Bronzen der Shang-, Chou-,
Han- und Tangzeit; die Chinesen werden die technischen Unterschiede genau
gekannt, aber in der Abbildung nicht darstellbar gefunden haben.)
Der Zeichner muß in seiner Technik alle Verzierungen in gleich starker Linie
wiedergeben, während der Künstler des Gusses durch verlaufende oder stärker be-
tonte Reliefierung die Wirkung so sehr verändern kann, daß sie entweder der stark
hervortretenden Grundform gleichsam nur einen Hauch von Belebung verleiht, oder
daß das Ornament der Fläche als wesentlicher Inhalt hervortritt, zu dem die Form
des Gefäßes nur den kaum zusammenhaltenden Hintergrund bildet. Die Fähigkeit
der abgestuften Wiedergabe im Guß geht bei der Konturzeichnung verloren.
Ich bin zufällig in der Lage, an einem Beispiele zeigen zu können, wie durch
die Flüchtigkeit des Abzeichnens sogar eine ganz falsche Vorstellung von der
!) Auf diese Unterschiede in der Ausführung werde ich bei Erörterung der einzelnen
Typen immer wieder von neuem hinweisen, da bisher in allen europäischen und japanischen
Werken dieses wichtigste Unterscheidungsmerkmal vernachlässigt und ganz willkürliche
Behauptungen aufgestellt worden sind. — Tajima in seinem schön ausgestatteten Bronze-
werk aus dem Shimbi-Shoin-Verlag gibt Datierungen, die vereinzelt um 1000 Jahre zu
früh sein dürften. — Den Höhepunkt phrasenhafter Phantasien bilden Kümmels Aus-
führungen in der „Illustrierten Geschichte des Kunstgewerbes“, 1910, Kap. III, 8. 728:
„Vor einer Shangbronze verblaßt die schönste und farbig oft viel reichere Bronze der
Chouzeit, und die herrlichste Shangbronze verliert Leben und Wirkung neben einer jener
ganz seltenen, unbegreiflich schönen Schöpfungen, welche die Chinesen (?!) selbst mit
Recht oder Unrecht den Hsia (2205—1766 v. Chr.) zuschreiben.“ Zur Illustration bildet
Kümmel auf farbiger Tafel ein Sakralgefäß ab, das er der Shangzeit (1766—1122 v. Chr.),
und unter Nr. 549 ein anderes, das er der Chouzeit zuschreibt! Wir werden in den
folgenden Abschnitten sehen, daß derartige Datierungen jeder ernsthaften Berechtigung
entbehren. Ebenso unrichtig sind seine Ausführungen ($. 727) über die Ornamentik. —
Diese Verständnislosigkeit und Unkenntnis auf dem Gebiete antiker Bronzen veranlaßte
mich, die Untersuchungen über die Stilentwicklung und die literarischen Quellen ganz
besonders ausführlich zu behandeln. Von einer erschöpfenden Darstellung kann bei dem
heute vorliegenden Material keine Rede sein, und systematische Ausgrabungen werden
sicher noch viele Überraschungen bringen,