Armbrustschloß — Torsions- und Bogengeschütz 201
Das vereinzelte Vorkommen der Armbrust auf den Steinreliefs in Puy läßt sich
darauf zurückführen, daß dort, wie nachgewiesen ist, westasiatische Söldnertruppen
hinkommandiert waren, die ihre eigenen Waffen mitgebracht haben dürften. Eine
besonders in Italien bekannte und in alter Zeit allgemein angewendete Waffe
kann sie sicher nicht gewesen sein.
Ein Meinungsstreit ist über eine anonyme lateinische Schrift entstanden, „De
rebus bellicis“, welche eine Reihe von neuen Kriegsgeräten einem Kaiser empfiehlt.
Der Herausgeber der Baseler Ausgabe !) von 1552 meint, daß das Schriftchen dem
Kaiser Theodosius, der 395 n. Chr. gestorben ist, gewidmet sei, und die ungefähr
gleiche Entstehungszeit nimmt auch Mommsen an. Dagegen bestreitet Schneider
die Möglichkeit der Herstellung in so früher Zeit, da Bogengeschütze sonst nicht
erwähnt werden, und ihre Technik den alten Römern unbekannt gewesen sein
muß, da gleichzeitige Schriftsteller nur von Torsionsgeschützen sprechen. Schneider
erklärt daher die Schrift als mittelalterlich.
Von den Konstruktionen des Anonymus interessieren uns vornehmlich folgende:
ein Mauerwagen, ein Schiff, das durch Schaufelräder, die Ochsenkraft treibt, vorwärts
bewegt wird, und eine Blitzballiste, die eine verstärkte Armbrust auf vier Rädern ist.
Speziell das Schiff hält Schneider für „geradezu verrückt“. Der Verfasser der ano-
nymen Schrift wird als Orientale erklärt,?) „denn die einzigen barbarischen Namen,
die er erwähnt, sind Araber und Perser, und sein geographischer Gesichtskreis endet
an der Donau“. Wenn wir infolge dieser wichtigen Angabe unser Augenmerk statt
auf Rom mit seiner eigenen Sitte und Technik, auf Asien lenken, so sind uns die
Projekte durchaus nicht so überraschend, sondern stellen sich. als Vorschläge eines
Mannes dar, der die Welt gesehen hat und das, was ihm auf seinen Reisen in Asien
als brauchbar aufgefallen ist, seinem Kaiser zur Erwägung unterbreitet.
Wir sahen, daß in China die Armbrust vielleicht achthundert J ahre vor Kaiser
Theodosius in Gebrauch war und ebenso die Pfeilmaschine unter Ausnutzung der
Spannkraft eines Bogens. Die Schaufelräder sind ebenfalls seit uralter Zeit in China
verwendet worden, allerdings werden sie heute meist von Menschen durch Treten
bewegt, aber die Triebkraft durch Ochsen nach dem Vorbilde der Kornmühlen kann
sehr wohl früher angewendet sein, oder der Verfasser hat die beiden Beobachtungen
selbständig zusammengefügt. Auch einen Sturmwagen als Belagerungsgeschütz
werden wir in China aus antiker Zeit kennen lernen (8.205). Ferner sind die in der
Schrift ebenfalls erwähnten gesteppten Linnenpanzer sowie die aufgeblasenen
Schläuche zum Übersetzen über Flüsse erwiesenermaßen asiatisch.
Es ist daher durchaus wahrscheinlich, daß die Schrift im 4. Jahrhundert ent-
standen ist; es ist sogar verwunderlich, daß die römischen Kolonisten in Asien,
die im Tauschverkehr mit China gestanden haben (Bd. I, 8. 91), nicht früher
Gelegenheit hatten, diese alten Kriegswaffen des Ostens kennen zu lernen.
Immer wieder sehen wir, wie die beiden Kulturzentren des Altertums, Rom
und China, die Träger verschiedener Techniken und Ideen waren. Der Kulturkreis
Roms erstreckte sich von dem Mittelländischen Meere über Südasien bis an Chinas
Grenze, während der Einfluß der ostasiatischen Kultur über Mittel- und Nordasien
bis nach Südrußland drang. Zwar fand durch Tauschverkehr eine gegenseitige Be-
fruchtung statt, aber es waren nur äußerliche Momente. Im Herzen blieben Asien
und Rom selbständig in ihrer Art. Wie einst die großen Bogen der griechischen
Helden im Streite waren gegen die kleinen Bogen der persischen Kriegermassen, und
wie der Einzelkampf der Hellenen der Massenbewegung der Asiaten gegenüber-
1) Schneider, Anonymi de rebus bellicis liber, Text und Erläuterungen, Berlin 1908.
Abdruck des Originaltextes nach Ausgabe von Froben: Notitia utraque cum orientis
tum accidentis etc. Basileae 1552.
2) Seeck, Realenzyklopädie von Pauly-Wissowa, I, 2325.