Full text: Die Baukunst. Das Kunstgewerbe: Bronze, Töpferei, Steinarbeiten, Buch- und Kunstdruck, Stoffe, Lack- und Holzarbeiten, Glas, Glasschmelzen, Horn, Schildpatt, Bernstein und Elfenbein (Band 2)

Grundregeln 7 
Bau oder ein himmelanstrebender Dom. In der freien Natur unter schattigen 
Bäumen (Bd. I, Abb. 243, Taf. XIV, a) oder am Wasserfall im Gebirge werden 
die Feste gefeiert, nicht in großen Ballsälen und Riesenhallen, außer bei den 
Staatsempfängen am Kaiserhof. Der einzelne betet im Tempel, und kein gemein- 
samer Gottesdienst existiert, daher wurden gewaltige Kirchen nicht nötig. Das alte 
Ideal, in die kleine, strohgedeckte Hütte im hohen Gebirge oder am Ufer des Flusses 
sich zurückzuziehen, förderte jene Schlichtheit, der es als Regel galt, die Pforte, 
Mauerfassade und alle Baulichkeiten an der Straße und im ersten Hofe, auch im 
Schloß des Kaisers, einfach zu gestalten und den Luxus des individuellen Geschmackes 
erst in den hinteren, intimen Gemächern zu entfalten. 
Andere Ideen führten zum Villenstil, der am großartigsten bei kaiserlichen 
Sommersitzen, abseits vom Hasten der Welt, in grandioser oder lieblicher Natur 
gepflegt wurde. Weite Jagdgründe umgeben die unregelmäßigen, oft zierlichen 
Einzelbauten, die als Wohn-Pavillons, Aussichtspunkte und Ruhehallen über Berg 
und Tal zerstreut errichtet sind. Künstliche Seen und Bäche mit Marmorbrücken, 
Skulpturen und Felsgebilden beleben die Natur. Gärten, zu lieblichen oder pittoresken 
Landschaftsbildern arrangiert, mit Kiosken, ausgewählten Steinbildungen, Stein- 
laternen und Bronzen, werden auch dem Stadthause der Reichen beigefügt. Die 
Zufälligkeiten des Geländes, der Bäume und Wasser werden ausgenutzt und mit 
großer Liebe zu einem malerischen Kunstwerke gestaltet. 
In ähnlicher Weise werden Tem pelund Klöster gebaut, ohne eine vom Palast- 
bau scharf abgegrenzte, selbständig entwickelte Form zu erlangen. Die Verehrung der 
Natur führte zum Bau an weit sichtbaren Felsspitzen oder im tiefdunklen Waldesinnern. 
Diesem Grundstil der Anlagen sind wahrscheinlich erst in der buddhistischen 
Zeit einige fremde Elemente hinzugefügt: die Ehrenpforte und die Pagode. 
Sie bewahren noch heute ihren unchinesischen Charakter, indem sie niemals mit 
der übrigen Architektur einen inneren Zusammenhang eingehen, sondern stets selb- 
ständige Bauten bleiben. Eine Entwicklung wie die europäische Verbindung des 
zuerst freistehenden Glockenturmes mit der Kirchenhalle zum einheitlichen Dom 
bleibt in China unbekannt. 
Die einmal eingeführten Formen werden tausendfach verändert, sogar nach 
Provinzen!) kann man die Abweichungen einteilen, aber dennoch bleiben die Grund- 
formen unangetastet. Durch die Gleichmäßigkeit in der Bauart ist eine gewisse 
Monotonie erzeugt, die hinter der Vielseitigkeit des europäischen Geistes weit 
zurückbleibt. Aber auf der anderen Seite ist die chinesische Architektur die einzige 
in der Welt, die vorwiegend Holz für den Hochbau verwendet und die Farbe als 
wesentliche Ergänzung der einfachen Linienführung hinzufügt. Die weithin leuch- 
tenden farbigen Dachziegel in Gelb, Grün und Blau, die angemalten Schnitzereien, 
die farbigen Reliefplatten und Plastiken in glasiertem Ton geben den chinesischen 
Bauten ein charakteristisches Gepräge (Taf. D). Selbst Reliefs auf Steinfelsen 
werden durch farbigen Anstrich belebt. ?) 
I) Boerschmann, Architektur und Kulturstudien in China, S. 378. „Ein Sprichwort 
sagt: Gehst du eine Meile, so ändert sich die Sprache; gehst du zehn Meilen, so ändert 
sich die Sitte. Im Baustil merkt man diese Anderung am ehesten, ebenso aber auch an 
der Sinnesart der Bewohner, in ihren Lebensformen, der Landeskultur, der Kleidung 
und der Nahrung. Danach unterscheiden sich als Kulturgebiete, einmal der Norden 
mit sechs Provinzen, das Yangtse-Tal mit fünf Provinzen und der Süden mit sechs Pro- 
vinzen, zu denen auch die Küste gehört mit Fukien und Chekiang. Szech’uan bildet 
eine Klasse für sich.“ „So ergeben sich Verschiedenheiten genug, sogar von Provinz zu 
Provinz.“ „Aber der gemeinsame Zug ist überall da...“ 
?) Vergl. farbige Abbildung: von „Painted rock sculpture at Lhasa“ bei: Waddell, 
Lhasa and its mysteries, 
  
 
	        
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