Abzeichen — Tabletten — Siegel 347
Noch heute werden alle kaiserlichen Siegel
aus kostbar ausgewählten Jadeblöcken geschnitten,
die ich. bis zu 25 cm Breite gesehen habe. Die Annalen
berichten, daß Shihuanti (221—209 v. Chr.) aus einem
Block von angeblich 1,3 cbm Inhalt das große Staats-
siegel mit einem Eidechsengriff hatte schnitzen lassen.
Dieses kostbare Stück ist 935, als der letzte Tangkaiser
sich mit allen seinen Schätzen verbrannte, verschollen.
Die chinesische Literatur hat zahlreiche Siegelformen
überliefert. Wir hörten bereits (8. 196), daß im Fürsten-
grab aus vorchristlicher Zeit ein Nephritsiegel und
ein goldenes Petschaft gefunden wurde,
In der Hanzeit wurden Siegel in rechteckigem
Kubus mit sorgfältig geschnittenen Handgriffen in
Form von Drachen!) und anderen Tieren, zusammen-
hängenden Ringen, Elefanten und Fabelvögeln in
stilisierter Form verwendet. Ähnliche Formen wurden
auch in Gold (Abb. 5ll) ausgeführt. Die Siegel der
Tangzeit waren ähnlich, aber die Tiervorbilder wurden
vermehrt, z. B. um die Schildkröte. In der Sung-
Abb. 511 Chinesisches Siegel mit
Inschritt: Kan Ido kakuo. (Han-
könig an den König des Landes
Ido) aus Gold, 109 gr schwer, mit
schlangenärtig geformtem Griff
zeit wurden die Griffe immer reicher ausgestaltet und
den symbolischen Tieren der alten Tradition der Kilin,
Fische, Löwen, zusammengerollte Drachen und andere
Fabeltiere hinzugefügt. Auch wurden die Seiten-
flächen mit eingravierten Drachen- und Phönixbildern
ganz überzogen. In den letzten Jahrhunderten sind
neben den alten Formen, die für offizielle Verwendung
ausschließlich im Gebrauch blieben, Schnitzereien aus-
geführt, die den Zweck kaum noch erkennen lassen und
auch vielfach nur Zierate waren. Es sind oft Meister-
werke einer spielerischen Zeit (Abb. 512), die an Raffi-
Skizze in ungefährer Original-
größe, gefunden 1784 bei Kanal-
bau unter Steinplattein Kanozaki,
Kreis Naka, Provinz Chikuzen,
Japan, im Besitz vom Marquis
Kuroda, einem Nachkommen des
Daimyo von Chikuzen, wahr-
seheinlich 57 n. Chr. vom Han-
Kaiser Kwang-Wu an einen
Gesandten aus dem südlichsten
Teil Japans überreicht, aus Ya-
mada, fukutekihen (Mongolen-
Einfall.) Tokio, 1891 (Bibliothek
Nachod), Bd. IL, 8. 21, 1. Jahr-
hundert
(Aus: Münsterberg, Japanische
Kunstgeschichte, Bd. II)
R
niertheit und technischer Virtuosität die älteren Stücke
übertreffen, aber diese an großzügiger Wirkung
und edler Linienführung nicht erreichen.
Die eigentliche Siegelfläche war. meist
rechtwinkelig (Abb.511, 513), seltener rund. Die
in alter Zeit und häufig noch heute ver-
wendete Siegelschrift ist eine quadratische
Stilisierung der chinesischen Zeichen, die der
rechtwinkeligen Fläche sich ornamental an-
paßt. Diese Schriftform hat in ihrer deko-
rativen Wirkung die Ornamentik beeinflußt,
wie umgekehrt sie selbst aus der antiken
Ornamentik (Abb. 513, g, ®, I) der eckigen
Spirale und der geometrischen Muster ent-
wickelt ist. Auch Menschen und Tiere (d, f)
wurden eingraviert.
Abb. 512 Siegel mit vielen Affen, Stein,
Etlınograph. Museum, München, 18. Jahr-
hundert
(Originalaufnahne)
1) Die Formen haben sich noch heute erhalten und sind in Europa besonders zahl-
reich in jenen zierlichen Nachahmungen vertreten, die von den Japanern in Elfenbein
und Holz als Netzkes hergestellt sind. Siehe Brockhaus , Netsuke, 1905, mit 325 Ab-
bildungen. — Münsterberg, Japanische Kunstgeschichte, Bd. III, 8. 361,' Siegel-Netzke,
Abb. 319—330.