Full text: Die Baukunst. Das Kunstgewerbe: Bronze, Töpferei, Steinarbeiten, Buch- und Kunstdruck, Stoffe, Lack- und Holzarbeiten, Glas, Glasschmelzen, Horn, Schildpatt, Bernstein und Elfenbein (Band 2)

  
Nadelmalerei — Batik — Gewebemuster 391 
die Wirkung im kleinen und in der Nähe berechnet. Die gewaltigen Effekte, 
die Europa mit den leuchtenden Mosaiken, der Westen Asiens mit den glänzenden 
Fliesen erzielte, erreichte Ostasien durch sein Nationalprodukt — die billige, farbige 
und haltbare Seide. Wie leicht waren die Fresko- und Wasserfarbenmalereien 
zerstört, beschmutzt und vergilbt; Licht und Luft sind ihre größten Feinde. Die 
Stickereien besaßen eine viel größere Widerstandskraft; sie konnten leicht gereinigt, 
zusammengerollt und repariert werden. So entstand, durch äußere Verhältnisse 
bedingt, eine ostasiatische Eigenart. 
Je größer das Bild und je stärker die Fernwirkung sein sollte, desto besser war 
die Nadelmalerei in Seide geeignet. Man kann sogar sagen, daß es in Ostasien gar 
keine andere Technik gab, um etwas Gleichwertiges schaffen zu können. Nur 
weil Seide in der übrigen Welt ein so kostbarer Luxusartikel war, konnte 
nirgendwo anders mit den gleichen Mitteln die dekorative Wirkung erzielt 
werden.!) Europa hat in der Zeit der Chinoiserie die Bedeutung der Seidentapete 
erkannt und nachgeahmt. 
Ein Ersatz der kostbaren Nadelmalereien wurde durch die „Batik“-Technik 
erreicht. Chinesische Schriftsteller berichten, daß diese Art in der Tangzeit gepflegt 
wurde, aber dann in Vergessenheit geriet. Nur bei den halbzivilisierten Bergvölkern 
Südchinas (Bd. I, 8. 118) ist sie noch in Übung. Kein Original ist uns vom Festlande 
erhalten, aber unter Japans Altertümern finden sich einige gute Batikarbeiten 
(Bd. I, Abb. 78, 79) aus dem 7. oder 8. Jahrhundert. Auch dort wurde später diese 
Technik nicht mehr geübt. 
Bei diesem Verfahren werden die Muster auf den Stoff in Umrißlinien auf- 
getragen und die Zwischenräume mit flüssigem Wachs ausgefüllt. Wenn dann der 
Stoff gefärbt wurde, blieben die mit Masse bedeckten Flächen ausgespart. Auf diese 
Weise konnte jedes Bild mit Leichtigkeit übertragen werden, aber die Ausführung 
blieb hinter der Wirkung der Nadelmalerei weit zurück. 
Die unter westlichem Einfluß entstandenen Webemuster waren alle nach 
gewissen symmetrischen Konstruktionen eingeteilt. Der Geist der architektonischen 
Gliederung hatte die Anordnung der einzelnen Motive beherrscht. Die östlichen Nach- 
former hatten zwar manche strenge Form aufgelöst und malerische Abweichungen 
hinzugefügt, aber der Grundcharakter blieb beibehalten, und daher erschienen uns 
die Muster ‚„unchinesisch“, im Verhältnis zu dem Stil, der in dem letzten Jahr- 
tausend die ostasiatische Kunst beherrschte und für unser Empfinden die charakte- 
ristische Sonderheit des Ostens ausmacht. 
Der rein chinesische Nationalstil war in der Malerei entstanden und wurde 
durch die Nadelarbeiten in das dekorative Kunstgewerbe übertragen. Schon im 
5. Jahrhundert hatten die chinesischen Maler ihre eigenen Kunstgesetze aufgestellt. 
Es begann „ein mächtiges Streben, von der an die Fläche gebundenen Dekoration 
loszukommen“ und die Natur in ihrer freien Bewegung darzustellen. 
Während in Westasien die geschmackvolle Flächendekoration im rein deko- 
rativen Geiste der alten Tradition verharrte, befreite die Nadelmalerei den Osten 
von den Fesseln der architektonischen Symmetrie und schuf im freien Rhythmus 
der Linien den Stil, den wir heute gewöhnt sind, schlechtweg als den ostasiatischen 
zu bezeichnen. Die unsymmetrisch schwebenden Blätter, das Flammenmuster 
und die frei schwingenden Schleier sind typische Beispiele dieses östlichen Geistes. 
1) Seiichi Taki, Kokka, Heft 243, weist darauf hin, daß die leuchtende Farbe der 
Seide die Malerei rückwirkend beeinflußte. So soll die später entstehende Vorliebe für 
bunte Farbflächen durch sie angeregt worden sein, desgleichen die breite Konturlinie, 
die früher nur dünn war, und der Gebrauch von Goldlinien als Kontur bei buddhistischen 
Bildern in Nachahmung der Goldfäden. 
 
	        
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