Full text: Die Baukunst. Das Kunstgewerbe: Bronze, Töpferei, Steinarbeiten, Buch- und Kunstdruck, Stoffe, Lack- und Holzarbeiten, Glas, Glasschmelzen, Horn, Schildpatt, Bernstein und Elfenbein (Band 2)

Textilstil — Zweites Jahrtausend — Motivenentwicklung 393 
und chinesischen erhalten blieben. Dieses Blattornament war also bei seiner Er- 
findung ein Pflanzenornament, aber bei seiner Übertragung nach China bereits zu 
einem Linearornament (Abb. 565,a) erstarrt, bis es in verjüngter Gestalt sich wieder 
zu einem Pflanzenmotiv zurückverwandelte und der Flora des Ostens entsprechend 
zu einer Pflaumenblüte wurde.!) 
Derartige naturalistische Gestaltungen Chinas sind durch Stoffe, Porzellane 
und Bronzen in den letzten J ahrhunderten : in Europa bekannt geworden und gelten 
als typisch ostasiatisch. Es ist aber zu beachten, daß sowohl die antike Zeit als auch 
das erste Jahrtausend derartige Muster in China nur vereinzelt kennt. Wahrscheinlich 
begannen erst im Mittelalter die freieren Muster in allgemeine Aufnahme zu kommen. 
Viele bisher aus dem ersten Jahrtausend kennen gelernte Verzierungen stehen 
in gewissen Beziehungen dem westlichen Stile näher als dem jüngeren Ostasiens. 
Stoffe aus der Mongolenzeit (1280-1368) sind in China nicht erhalten und auch 
auf Bildern nicht als besondere Gruppe zu erkennen. Einige Anhaltspunkte gewinnen 
wir aus den Arbeiten im Westen Asiens, wo unter der Herrschaft der Mongolendynastie 
ein reger Austausch nicht nur von Kunsiprodukien und ihren Verzierungen, sondern 
auch von Handwerkern stattfand. Es entstand damals inWestasien eineChinoiserie, 
wie 400 Jahre später in Europa. 
In der Marienkirche zu Danzig ist ein Seidenstoff mit Goldgrund aufbewahrt — 
mit einer Inschrift zur Ehre von Nasir Mohammed von Ägypten (1293 — 1341) —, der 
für den Sultan gewebt sein soll. In dem Zwickel ringelt sich der chinesische Do 
Stoffe mit chinesischen Schriftzeichen sind aus der gleichen Zeit erhalten.) Bereits im 
11. Jahrhundert erbauten die siegreichen Seldschuken, die keine eigene Kultur be- 
saßen, im eroberten Konia glänzende Bauten, in denen Martin) chinesische Dekora- 
tionen ım Tierdekor ee Auf den Teppichen des Westens finden wir Drachen, 
Phönix und Wolkenband als beliebte Ornamente, die typische Verzierungsformen aus 
China vorstellen sollen. Im Gebetsraum der Hauptmoschee zu Varaınin ®) (erbaut 1322 
bis 1412) ist neben sarazenisch-persischer Wanddekoration eine geschlossene Partie 
rein chinesischer Päoniendekoration. Auch auf Waffen finden wir Drachen in auf- 
gelegtem Metall. >) 
!) Ganz ähnlich ist es mit der vielblätterigen Rosette in ihrer Entwicklung zum 
Chrysanthemum und dem japanischen Wappen. Wir sind heute gewöhnt, solche Motive 
als ostasiatisch anzusehen, aber wenn wir historisch rückwärts das Aufkommen der 
Muster verfolgen, so finden wir immer wieder ältere Vorbilder, die mit der lokalen Aus- 
gestaltung im Osten gar nichts gemein haben. Ich fand z. B. auf der Stola eines Engels 
auf dem Gemälde der fünf musizierenden Engel von Memling im Museum zu Antwerpen 
eine achtblättrige Rosette im Kreis, die auf den ersten Blick als japanisches Wappen an- 
mutet, aber sicher gar nichts mit dem Osten zu tun hat, sondern nur eins jener Ornamente 
ist, das über weite Länder durch lange Zeiten gewandert ist. Es erlangte nur im Osten 
eine besondere Bedeutung, während es im Westen ein Ornament unter vielen blieb. 
?) Zahlreiche Originale dieses Stiles sind in europäischen Sammlungen zu finden. 
Lessing, Gewebesammlung des K. Kunstgewerbemuseums, Berlin. — Im Reichsmuseum zu 
Amsterdam befindet sich ein Stoffrest, der wahrscheinlich im 13. Jahrhundert in Persien 
gewebt und in einem ägyptischen Grabe gefunden worden ist, mit dem chinesischen Schrift- 
zeichen für „Yun“ (Festkleid) mit einer Blüte. Das gleiche Zeichen findet sich auf einem Stoff 
mit arabischer Inschrift im Berliner Kunstgewerbemuseum. — Bei sarazenischen Stoffen 
(Dreger, Künstlerische Entwicklung der Weberei und Stickerei, Tafel 1044) ist mitunter in 
ganz schmale Streifen geschnittenes Papiergold verwendet worden, das sonst für textile 
Zwecke nur in Ostasien benutzt wird. — Martin, A history of oriental carpets before 1800, 
London 1908, Fig. 52. — 
3) Martin, Oriental carpets, S. 112. 
*) Sarre, Denkmäler persischer Baukunst, Berlin 1901.— Martin, Oriental carpets, Fig.45. 
5) Martin, Oriental carpets, Fig. 99, 10. Nordpersische Arbeit um 1400 in der 
K. Eremitage zu St. Petersburg und ähnlich im K. Schatz zu Konstantinopel. 
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