Wertschätzung — Import — Perlen — Fenster — Fabrikation 449
so durchsichtig sei, daß auch das feinste Haar nicht dahinter verborgen bleibe“.
Es muß also hier ein durchsichtiges Glas gemeint sein, das mit dem oben von Hirth.
angegebenen „weißen“, d.h. weißem opakem Glase (Liuli), kaum identisch. gewesen
sein dürfte. Allerdings könnte man ein Haar auch durch farbiges Glas erkennen,
wenn es durchsichtig ist, aber wir können eher ein weißes Fensterglas annehmen,
denn im 1. Jahrhundert n. Chr. war das farblose kristallklare Glas im Abendlande
so billig geworden, daß es die alten Farbgläser verdrängte und ein Spezialzweig
der Glasfabrikation wurde. In den Museen zu Neapel und Trier sind römische
Glasplatten bis zu 60 cm Länge aufbewahrt. Der Export derartiger großer Stücke
ist natürlich ausgeschlossen, aber wir können annehmen, daß vielleicht handgroße
Scheiben auf dem Karawanenwege nach dem Osten kamen, die in Rahmen gefaßt
als Fenster dienten. In ähnlicher Weise werden noch heute in China die
zurechtgeschnittenen flachen Schalen der Fenstermuscheln (Placuna placenta) in
Holzrahmen verwendet. Ein leichter Schliff genügt, um sie durchscheinend wie
Marienglas zu machen.!) Diese Form war auch im Altertum in Europa nicht
unbekannt, denn dünne Marmorschliffe und Hornschichten bildeten gewöhnlich
das Fenster des römischen Hauses. Auch die frühchristliche Zeit hat diese
Erbschaft von der Antike übernommen.
Erstes Jahrtausend
Im 5. Jahrhundert regierte im Süden Chinas der Sungkaiser Wenti (424—453)
und im Norden der Gegenkaiser Taiwu (424—452). Jedem der Kaiser wird von ver-
schiedenen Historikern die Errichtung der ersten Glasfabrik in China zugeschrieben.
„Nach den Angaben des historischen Werkes Pei-shih?) war es während der
Regierung des Kaisers T’ai-wu, daß Kaufleute aus dem Lande Ta-yüeh-chih im
Nordwesten Indiens — in einer anderen Quelle heißt es geradezu Indien — in der
Hauptstadt des Reiches Wei ankamen. Dieselben gaben vor, durch Einschmelzen
gewisser Minerale alle Farben (Liuli) herstellen zu können. Sie wurden daraufhin
beauftragt, in den benachbarten Gebirgen zu graben und zu sammeln, worauf sie
in der Hauptstadt eine Glasfabrik errichteten. Das dort verfertigte Glas soll die vom
Westen importierten Sorten an Glanz noch übertroffen haben. Seit jener Zeit, heißt
es, wurde Glas in China bedeutend billiger, als es je gewesen war. Diese Fabrik lag
wahrscheinlich in der Gegend des heutigen Tatungfu in der Provinz Shansi.“
Grosier?) zitiert aus den „Les grands Annales‘ (Hirth vermutet, daß das Shung-shu
gemeintist), daß „der König von Ta-ts’in (Syrien) an den Kaiser T’ai tsu (identisch
mit dem Sungkaiser Wenti) beträchtliche Geschenke an Glas von allen Farben schickte,
denen einige Jahre später ein Glaskünstler folgte. Derselbe verstand die Kunst,
Kieselsteine in Kristall zu verwandeln, und lehrte sie eine Anzahl von Schülern.‘
Diese abweichenden Angaben sind wohl dahin zu erklären, daß infolge der un-
geheuren Wertschätzung des Materials in China ein Interesse für die Fabrikation
bestand und mehrere Glasbläser gleichzeitig aus dem Westen kamen, um die fremde
Technik zu lehren. Der Zeitpunkt ist nicht überraschend, denn damals (8. 17)
kamen viele Mönche aus Zentralasien und brachten die fremde buddhistische Kunst
nach dem Osten. Sie werden die Chinesen über die Herstellung des Glases aufgeklärt
und die Einwanderung von Glasbläsern veranlaßt haben. Einige zogen nach dem
Norden, andere nach dem Süden, und jeder Chronist war bestrebt, seinem Kaiser die
Ehre der ersten Fabrikeinrichtung zuzuschreiben. Über die Geburtsstätten der fremden
1) Abbildung bei Doeflein, Ostasienfahrt, Leipzig 1906, 8.65.
?) Zitiert nach Hirth, Zur Geschichte des Glases, S. 65.
3) Grosier, Description g@önörale de la Chine, Paris 1785.
Münsterberg, Chinesische Kunstgeschichte II 29