Schnupftabakdöschen — Stil 457
Hirth.!) weist darauf hin, daß der Jesuit Grueber, der um 1663 in China lebte,
ausdrücklich betont, daß ‚bei den Tataren und Chinesen Mann und Weib zwar
Tabak rauchen, daß sie jedoch den Tabak nie in Pulverform zu sich nehmen“.
Andererseits führt der 1687 veröffentlichte Zolltarif für in Kanton eingeführte
Waren bereits Schnupftabak auf. Wir können daher vermuten, daß es sich beim
Schnupfen von Tabak um eine aus Europa eingeführte Sitte handelt und die
ersten Döschen um die Mitte des 17. Jahrhunderts hergestellt wurden.
Zu dem gleichen Resultat können wir auch durch eine andere Betrachtung
kommen. Wiederholt habe ich an vielen Beispielen gezeigt, daß der konservative
Sinn im Osten stets Material, Form und Dekor zur Zeit der ersten Einführung
festhält, und wir daher aus der Ausführung der Gegenstände rückschließend. die
Zeit der Einführung feststellen können. Ferner wies ich darauf hin, daß bei Neu-
einführungen entweder die fremde Form übernommen und in lokaler Umgestaltung
beibehalten blieb, oder, wenn kein Vorbild vorhanden war, stets die neueste Technik
angewendet wurde. Daß das im 17. Jahrhundert zur Mode gewordene Glas für die
Schnupftabakdosen vorwiegend verwendet wurde — es kommen auch Porzellan-
dosen vor — läßt auf das gleichzeitige Aufkommen der Sitte schließen. Daß das
Material durchaus nicht sachlich notwendig war, sondern nur historisch. zufällig
gewählt ist, beweist die Tatsache, daß in Europa vorwiegend Holz und Metall, aber
Glas überhaupt nicht oder sehr selten für Schnupftabakdosen gebraucht wird.
Glas war in China ein Luxusartikel für kleine Gegenstände. 2) Es hat niemals
durch eine Massenproduktion die Töpfereien des täglichen Gebrauchs verdrängen
oder durch seine Qualität die Wertschätzung feiner Porzellane erlangen können.
- Die Bedeutung der Weinflaschen und Biergläser in Europa haben in China die
Porzellankannen und -tassen und werden sie wohl so lange behalten, wie der Tee
das Nationalgetränk der Chinesen bleibt.
1) Hirth, Die chinesische Porzellanindustrie im Mittelalter, Chinesische Studien,
S. 47.
2) Zur Zeit Ludwigs XIV. hatte Glas in Europa eine ähnliche Schätzung und
Verwendung wie heute in China. Es gab nur wenige Glastrinkbecher und -flaschen.
Das Trinkglas kostete drei Franken und noch unter Ludwig XVI. die Hälfte, dabei war
es grob und undurchsichtig.