IX. Horn, Schildpatt, Bernstein
und Elfenbein
Rhinozeroshorn
In den klassischen Schriften der vorchristlichen Zeit wird ein Tiername Si er-
wähnt, der als Rhinozeros!) oder Nashorn?) übersetzt wird. Ob wirklich das Rhino-
zeros Südasiens, das in historischer Zeit in Nordasien nicht vorkommt, gemeint wird
oder irgend ein anderes, vielleicht ausgestorbenes Tier, ist nicht mehr feststellbar.
Jedenfalls begegnet uns unter den ältesten Tierdarstellungen in Bronze (Abb. 151, 221)
keine Form, die als Nashorn gedeutet werden könnte. Wenn ein Horn angebracht
ist (Abb. 222, a 280), handelt es sich stets um nachchristliche Ausführung in einer
phantastischen Gestalt, die nicht nach einem lebenden Tiere geformt ist.
Es ist um so weniger anzunehmen, daß das Einhorn im alten China bekannt
war, weil Rhinozeroshorn ein häufig erwähnter Importartikel war. ÜCtesias®) be-
schreibt im 5. Jahrhundert v. Chr. das große indische Rhinozeros mit einem Horn
und rühmt die wunderbaren medizinischen Eigenschaften der Becher, die aus der-
artigem Horn geschnitzt sind. Jäger sollen das Einhorn in der Provinz Yünnan in
den Grenzgegenden von Annam und Siam gejagt haben, aber im klassischen Altertum
war die Verbindung Chinas mit den damals noch selbständigen Südstaaten sehr
zufällig, so daß die regelmäßige Einfuhr nach dem Norden erst zur Zeit der großen
Expansion, etwa seit dem 4. Jahrhundert v. Chr., angenommen werden kann.
Die chinesischen Annalen berichten, 4) daß die syrische Gesandtschaft aus dem
1) Plath, Beschäftigungen der alten Chinesen, 8.56. Der Sse soll nach Medhurst
und Julien ein Rhinozeros sein. — Nach La Charme im Shiking II, 3, 6 und Legge im
Lün-iü 16, 17 soll es ein wilder Ochse sein. — In Lao-tseu II, 50 heißt es nach 'Plath:
„Wer sein Leben recht führt, fürchtet auf seinen Wegen weder Rhinozeros noch Tiger:
der Rhinozeros kann mit seinem Horne ihn nicht treffen; der Tiger mit seinen Krallen
ihn nicht zerreißen.“ — Nach Meng-tseu III, 2, 9, 6 vertrieb Tschen-Kung die Tiger
(Hu), Leoparden (Pao), Rhinozerosse (Si) und Elefanten (Liang). Sehr merkwürdig ist, daß
hier bereits die südlichen Tiere, wie Elefant und Rhinozeros, genannt werden.
?) V.v. Strauss, Schi-King, Das kanonische Liederbuch der Chinesen, Heidelberg 1880,
II, 3, 6, 8.289. Lied der Jägermeister:
Und als wir unsere Bogen gespannt Und ein Nashorn groß ward dorten gefällt,
Und unsere Pfeil’ auf die Sehnen gestellt, „ Die wurden den Gästen und Fremden verliehn
Da schossen wir hier die geringere Sau, Und Süßweinspende dazu gesellt.
IV, 3, 7,8.49:
Nun stehn Dreifüß’ und Töpfe hier
Wie krümmt sich der Nashornbecher zum Opfermahle.
3) Bushell, Chinese art, Bd. I, 8. 119.
*) Hirth, Zur Geschichte des antiken Orienthandels, Chinesische Studien, Leipzig 1890,
8.17. — Laufer, Historical jottings on Amber in Asia, Memoirs of the American
Anthropological Association, 1907, S. 233. In den Annalen der Jüngeren Handynastie
(Hou Han shu) wird als Erzeugnis des alten Shan-Königtums, das im ersten Jahrhundert
zuerst erwähnt und damals noch Yünnan, Teile von Tonking und Kwangsi umfaßte,
angegeben: Kupfer, Eisen, Zinn, Blei, Gold, Silber, Perlen, Kristall, Austern, Perlen,
Bernstein, Rhinozeros, Elefanten und Tapir.