44 Paläste und Tempel
Wie die Wohnräume des Palastes im einzelnen eingerichtet waren, wissen
wir nicht, da keines Europäers Fuß sie je während ihres Gebrauches betreten hat
und auch kaum betreten wird. Um ein ungefähres Bild von dem Luxus und dem
Geschmack zu geben, setze ich die Worte her, mit denen Wegener in der Kriegs-
zeit seinen Eindruck bei einem flüchtigen Rundgange schildert.!)
„Soviel auch gegenwärtig schon geräubert worden ist, besonders in den
ersten Tagen nach der Eroberung, so ist doch die ‚verbotene Stadt“ noch voll
von den herrlichsten Schätzen einer originellen Kultur. Was habe ich alles an
Kleinkunstwerken gesehen! Vor allem die herrlichen Thronsessel, verziert mit
den schönsten Leistungen jener Rotlackschnitzerei, die mit zu den größten Kost-
barkeiten Chinas gerechnet wird, und überzogen mit unglaublich mühsamen und
kunstvollen Seidenstickereien. Cloisonnevasen von Riesengröße; Drachenteppiche
von ungeheurem Um-
fange; riesige Uhren von
unschätzbarem Werte, ge-
waltige Himmelsgloben
aus Metall mit allerhand
eingelester Arbeit; Stern-
karten von 2 m Durch-
messer, in kostbare Rah-
men gespannt; eine Bi-
bliothek, durch die man
mit dem schauernden
Gefühl hindurchging, daß
hier Stimmen von ver-
sunkenen Jahrtausenden
zu uns redeten usw.“
Abb.60 Eingangstor zu den Gemächern des Kaisers, Yanghsinmen, Löwen 2 a 7
und Laternen an den Seiten des Einganges, die Wände verziert in Art „Ein Thronsessel schw ebt
von mohammedanischen Bucheinbänden, Peking mir noch Vor, Von unge
(Aus: v. Mumm, Ein Tagebuch in Bildern) :
Text s.8.43 heuren rotlackierten Ze-
dernstämmen getragen;
doch waren andere sehr
ähnlich. Alle waren in strengen, ständig wiederkehrenden Formen gehalten. Der
Thron stand stets auf einer Erhöhung in der Mitte der Rückwand, von geschnitzten
Balustraden umgeben; zu beiden Seiten die regelmäßig angeordneten Kostbar-
keiten; gewöhnlich zwei große Porzellanschalen, zwei kostbare Gestelle mit
Pfauenfederbüschen usw.‘
„Vielgestaltiger war noch die Kleinkunst in den Weibergemächern der Harems-
wohnungen. Wir sahen ziemlich kleine Räume mit schön geschnitzten Türen, die
Fenster aus großen Spiegelscheiben bestehend, breite Diwane rings an den Wänden.
Als Schmuck dieser Zimmer waren besonders die künstlichen Blumentöpfe sehr
beliebt, bei denen die Erde aus Krümelchen roter Korallen und dunkelfarbiger Halb-
edelsteine nachgeahmt ist. Das Bäumchen darin ist mit seinen Zweigen und Blättern
ebenfalls aus kostbaren Metallen und Steinen gefügt,?2) Oft werden ganze kleine Land-
schaften so dargestellt, mit Felsen aus Tigeraugensteinen und vielfarbigen Kristall-
drusen. Phantastisch-fratzenhafte Tierchen, ebenfalls aus Halb- oder Ganzedel-
steinen gebildet, hocken dazwischen.‘
I) Wegener, Zur Kriegszeit durch China 1900/01. Berlin 1902, 8. 299.
2) Sehr schöne Beispiele, bei denen die einzelnen Blumenblättchen und Blätter
aus farbigem Stein ganz realistisch mit mühseliger Arbeit herausgeschliffen sind, befinden
sich in der Jade-Sammlung Bishops im Metropolitan-Museum zu New York. Vel. Kapitel:
Steinarbeiten.