140 Städtische Strassen-Eisenbahnen
XII. Lokomotivbetrieb.
Als charakteristische Merkmale der jetzt in Städten und Vororten gebräuch-
lichen Strassenbahn-Lokomotiven sind zunächst folgende Zahlen anzuführen.
Es sind immer Tenderlokomotiven mit 2 gekuppelten Triebachsen ohne Lauf-
achsen. Radstand 1,2—1,6,° meistens 1,4—1,5 m. Raddurchmesser 0,6—0,8 m,
Bisher gewöhnlich normale Spurweite. Gewicht im leeren Zustande 3—8 t, im
dienstfähigen 4—10 t. Zur Dampferzeugung dienen wagrechte zylindrische Kesse
mit Siederöhren und Feuerbüchse, wobei die fgesammte Heizfläche für 1t des
Dienstgewichtes der Lokomotive 1,3—2,3, bei den meisten zwischen 1,5 und 2,0qm
beträgt. Bei einer Dampfspannung von 9—15, gewöhnlich von 12 Atmosphären
können für 1 am Heizfläche 1,7 und 3, in engeren Grenzen 2—2,5 Pferdekräfte
entwickelt werden. Demnach ist die Arbeitsfähigkeit der Lokomotive für 1 t
ihres Dienstgewichtes zwischen 1,5.2 und 2.2,5 oder zwischen rd. 3 und 5
Pferdekräfte, wobei im allgemeinen die kleinere Zahl für kleine Maschinen
(unvortheilhafterer Bau und Wirkung), die grössere für grosse gilt, aber auch
die Geschicklichkeit des Erfinders, grosse Heizflächen mit geringem Kon-
struktions-Gewicht zu erzeugen, eine Rolle spielt. Die volle Pferdestärke
bisheriger städtischer Lokomotiven liegt also ungefähr zwischen 4.3=12 und
10.550,
Die er Typen werden wohl allmählich verlassen werden; denn ab-
gesehen von der schlechteren Nutzwirkung und grösseren Reparaturbedürftig-
keit genügen sie auch den gesteigerten Anforderungen des Betriebs nicht mehr.
Diese bedingen theils eine gewisse Zugkraft, theils eine gewisse Geschwindig-
keit. Was die Zugkraft betrifft, so möchte an Tagen starken Verkehrs wohl
zu fordern sein, dass in einen Zug 3 Wagen & 30 Personen kommen, deren
Bruttogewicht etwa 3 (1,8 + 30.0,075) = 12 t beträgt. Da Steigungen von
0,025 selbst in „flachen“ Städten häufig vorkommen, so ergiebt sich bei einem
mittleren Widerstandskoeffizienten 0,01 und Adhäsionskoeffizienten 0,14 (trockner
Zustand der Schienen) das erforderliche Lokomotivgewicht M gegen Schleudern
der Räder aus:
(12 + M) (0,01 -+ 0,025) = 0,14M
hieraus M = 4,0 t.
Ferner sei eine Geschwindigkeit von 12km in 1 Stunde oder 3,3m in
Sek. verlangt, und angenommen, dass 4 Pferdekräfte auf 1# Lokomotivgewicht
erzielt werden können. Dann ist zu genügen der Arbeitsgleichung (in mkg):
1000. (12 + M) (0,01 + 0,025) .3,3=4.M.75
hieraus M = 7,6 t.
Glaubt man 5 Pferdekräfte für 1 t Lokomotivgewicht erreichen zu können
so würde M—=5,3 t sein.
Somit bedingt die gewünschte Geschwindigkeit ein grösseres Lokomotiv-
gewicht als die verlangte Wagenzahl, und es muss dies insofern willkommen
geheissen werden, als die gleiche Wagenzahl dann auch noch bei geringerer
Adhäsion wie sie in Folge von Frost und Strassenkoth leicht vorkommt, ge-
zogen werden kann. Im allgemeinen aber wird bestätigt, dass man neue
Strassenbahn-Lokomotiven nicht leicht mehr unter etwa 6 t Dienstgewicht und
20 Pferdekräften herstellt, um leistungsfähig zu bleiben. Allerdings wird
dann bei schwachem und mittlerem Verkehr beträchtlich viel todtes Gewicht
mitgeschleppt, daher überhaupt der Dampfbetrieb auf Linien zu beschränken ist,
wo starke Steigungen vorliegen, oder wo schon der gewöhnliche Verkehr. die
Einstellung grosser, bez. mehrerer Wagen fordert, oder wo dies doch häufig an
gewissen Tagen oder zu gewissen Tageszeiten vorkommt (Vgl. EI).
Wegen eingehenderer Berechnungen über Leistungen und Abmessungen
en muss auf einen anderweiten Theil dieses Handbuchs verwiesen
werden,
Bei den konstruktiven Grundzügen von Strassenbahn-Lokomotiven
ist zu bedenken, dass hier durch den Betrieb, durch die städtische Umgebung
!) Unter aussergewöhnlichen Umständen sind diese Grenzen, schon überschritten, so in
Mülhausen für Güterverkehr 15t auf 8 Rädern, in Barcelona auf 0,09 Steigungen 16 t auf 6
Rädern. (Organ 1883, 23 und 1886, 3). Auf eigentlichen Landstrassen-Bahnen fahren Lokomo-
tiven bis zu 22 t Dienstgewicht und 100 Pferdekräften.
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