Full text: Städtisches Strassenwesen und Städtereinigung (Abtheilung 3, 3. Heft)

  
  
  
  
Gesundheitliche Motive. 161 
und Forderungen, welche sich nicht auf vollständiges Beweismaterial bezw. auf 
ausgiebige Erfahrung stützen, mit Vorsicht aufzunehmen. 
Nachdem die Gährungschemie ausgebildet war, lag es nahe, die allgemeine 
Theorie der Zersetzung organischer Stoffe auf ansteckende Krankheiten bei 
Menschen und Thieren auszudehnen. Hier wie dort zeigte sich ein Ferment, 
welches schon in geringen Mengen den Vorgang erzeugt und ausbreitet, auf 
andere Körper überträgt und sich vervielfältigt. Theils auf bestimmten Nach- 
weis, theils aus Analogie wird angenommen, dass die Fermente bezw. die 
eigentlichen Agentien in solchen aus niederen Kleinwesen (Mikroorganismen, 
Pilzen) bestehen, deren Lebensthätigkeit eine Zersetzung hervor ruft und deren 
Vermehrung sie fortsetzt. Allerdings lassen sich gährungsartige Veränderungen 
beobachten und hervor rufen, bei welchen diese Organismen zu fehlen scheinen, 
sowohl ausserhalb als innerhalb des menschlichen Körpers, z. B. Umwandlung 
von Stärke in Zucker, Thätigkeit des Magensaftes, Zersetzung unter der Erde? 
Daher vorsichtige Forscher die Thätigkeit ungeformter chemischer Fermente 
noch aufrecht halten, wobei dann begleitende Pilze nicht Ursache, sondern 
Folge der Zersetzung seien. Derartige Vorgänge mögen etwa den Uebergang 
bilden oder gehören bereits zu rein chemischen Wirkungen, bei welchen das 
charakteristische Merkmal von Gährungen, nämlich ein sich vermehrendes und 
ansteckungsfähiges Ferment ganz fehlt und Organismen entschieden ausge- 
schlossen sind, z. B. die Humusbildung aus organischen Substanzen, Vergiftungen, 
Verbrennung. 
Für unsere Aufgabe sind hauptsächlich diejenigen Kleinwesen wichtig, 
durch welche eine Infektion des Menschen bewerkstelligt werden kann. Unter 
den bekannten Arten sind dieses blos gewisse Formen von Spaltpilzen 
(Bakterien). Ihnen kommen die zum Kampf mit den gesunden Lebenskräften 
erforderlichen Eigenschaften zu: Kleinheit, Zähigkeit, starke Vermehrung, 
Lebensfähigkeit ohne freien Sauerstoff im Innern des Körpers. Der Ausgang 
dieses Kampfes wird bedingt durch die Natur der Spaltpilze, ihre Menge, die 
chemische Beschaffenheit der angegriffenen Gewebe, sowie durch die Unter- 
stützung fremder .Zersetzungsstoffe. 
Spaltpilze finden sich überall in der Atmosphäre, ferner im Wasser, wenn 
dasselbe mit betreffenden Nährstoffen versetzt ist, auch im menschlichen Körper, 
z. B. im Darm. Allein zum Glück sind erfahrungsmässig nicht alle Formen 
zugleich Krankheitskeime; manche Forscher nehmen nicht einmal naturgeschicht- 
lich verschiedene konstante Arten an, welche den verschiedenen Infektions- 
krankheiten entsprechen. Vielmehr ist es nach Nägeli wahrscheinlich, dass die 
Pilze blos durch Anpassung, sowie durch anhängende Krankheits- oder Zer- 
setzungsstoffe ungleiche Beschaffenheit besitzen und ungleichartige Störungen 
bewirken, welche je nach ihrem Sitz und der Betheıligung anderer Körpertheile 
die verschiedenen Krankheitsbilder hervor bringen. Aus gewöhnlichen Spalt- 
pilzen entstehen Krankheitspilze, verändern sich mehr oder weniger, gehen 
wieder zu anderen Formen über, wenn sie längere Zeit ausserhalb des 
kranken Körpers zugebracht haben. Hieraus erklärt sich die Unbeständigkeit 
von Infektionskrankheiten während einer einzelnen Epidemie und im Verlauf 
der Geschichte. Trotz dieser Wandelbarkeit kann man doch 3 Hauptformen 
von infektionsfähigen Spaltpilzen unterscheiden, nach dem Ort ihrer Ausbildung 
und nach der Art der durch sie hervor gerufenen Krankheiten, nämlich Fäul- 
niss-, Miasmen-, Kontagien-Pilze. Weiter unten werden diese Gattungen einzeln 
besprochen werden. 
Allen Infektionspilzen gemeinsam sind noch folgende für unsere Aufgabe 
besonders wichtige Eigenschaften. Ihre Ausbildung und Vermehrung wird 
durch Feuchtigkeit bedingt; sie können aber die Flüssigkeit, die feuchte 
Substanz oder die benetzte Oberfläche, wo sie sich gebildet haben, nicht ohne 
weiteres verlassen, sondern nur durch Abschwemmen in Wasser gelangen, 
ferner in die Luft, durch Dunstbläschen mitgerissen oder beim Spritzen und 
Schäumen, oder nach dem Eintrocknen (als Staub) sei es isolirt, sei es mit 
Theilen der Nährsubstanz. Austrocknen führt nicht gleich zum Absterben, 
sondern nur zum Stillstand der Lebensthätigkeit, zu einer gewissen Lähmung; 
die Entwickelungsfähigkeit kann einige Tage oder Wochen erhalten bleiben. Eben- 
III. 11 
 
	        
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