Gesundheitliche Motive. 165
Transport des Ansteckungsstoffes fähige Medien vor allem die genannten
Dejektionen selbst, dann Gegenstände, an welchen die Kontagien haften können
(Kleider, Lebensmittel u. a.), ferner die Luft auf nicht zu grosse Entfernungen
bez. auf nicht zu lange Zeit, endlich Wasser unter denselben Voraussetzungen
(zunächst Reinigungswasser von Kranker, in zweiter Reihe Grundwasser und
Flusswasser, welche dann wieder als Trinkwasser und Waschwasser anderen
Menschen nahe kommen). Natürlıch kann anch der Weg von einem Medium
in ein anderes übergehen und mannichfaltig wechgeln. Hierbei kommt in Be-
tracht, dass Kontagien schon in geringer Anzahl anstecken können, daher
gefährlicher sind als Fäulniss- und Miasmen-Pilze, dass sie im allgemeinen
zähe in ihrer ‚Lebenskraft und Entwicklung, daher mit völliger Sicherheit nur
durch hohe Temperatur oder durch starkes Gift zu vernichten sind (Verbrennen,
Kochen und Desinfiziren von Medien). Indessen können Kontagien, wie alle
Spaltpilze, unter Umständen ihre gefährliche Beschaffenheit verlieren, bezw. in
unschädliche Formen übergehen. Dies geschieht z. B. in Wasser bei starker
Verdünnung und Bewegung, wodurch anhaftende Nährsubstanz abgespült
werden mag. Da die hierfür erforderliche Zeit und Energie noch unsicher
sind, so lässt sich die Möglichkeit der ebenso oft behaupteten wie be-
strittenen Verschleppung von Krankheitskeimen durch Trink-, Wasch- oder
Spülwasser usw. nicht leugnen,!) und der so lebhaft darüber geführte Streit
dürfte wohl auf die Verschiedenheiten der Wasserwege und der Kontagien
selbst hinauskommen,. Ebenso unsicher ist annoch die Beziehung von Kontagien
zu faulenden organischen Substanzen im allgemeinen. Während solche bei
Manchen als ein sehr geeigneter Nährboden zur Vermehrung von Kontagien
neben sonstigen Spaltpilzen gelten, auch wenn sie sich im Wasser oder unter
dem Boden befinden, behaupten andere im Gegentheil, dass gewisse Fäulniss-
produkte die fernere Entwickelung der spezifischen Krankheitskeime stören,
so dass dieselben in gewöhnliche Fäulnissbakterien übergehen.?) Vielleicht
ist je nach den quantitativen und qualitativen Verhältnissen bald das Eine,
bald das Andere der Fall, und demnach der Zusammenhang zwischen Fäulniss
und Krankheit nur ein loser. Jedenfalls sind aber Abfall- und Zersetzungs-
stoffe aus der menschlichen Oekonomie — in der weitesten Bedeutung des
Wortes — Merkmale für die mögliche Anwesenheit von Kontagien, welche
ebenfalls von Menschen stammen, daher verunreinigtes Wasser, Erdreich usw.
verdächtig. Selbstredend ist dies an seuchefreien Orten und Zeiten weniger
der Fall; die Vorsicht verbietet aber, den Kontagien eine geringere Wider-
standsfähigkeit beizulegen als den organischen Stoffen.
In Bezug auf die Empfänglichheit für Kontagien sind zwei Gruppen von
Krankheiten zu unterscheiden. Bei den eigentlich kontagiösen Krankheiten
nämlich (Blattern, Scharlach, Masern, Hundswuth, Influenza) erscheint die
Infektionsfähigkeit unabhängig von Ort und Zeit, so dass der blosse Umgang
Gesunder mit Kranken anstecken kann. Bei den sog. miasmatisch-konta-
giösen Krankheiten aber (Typhus, Cholera, Gelbfieber, Tuberkulose) kann das
Kontagium nur dann infiziren, wenn von Seiten des Bodens mitgeholfen wird.
Wenn etwa auch einzelne Infektionen auf direktem Wege erfolgen mögen, so
zeigt doch jede Epidemie eine deutliche Anhängigkeit von örtlichen und zeit-
licven Verhältnissen. Dies hat man sich entweder so vorzustellen, dass
Miasmenpilze (vielleicht andere Formen als bei der Malaria, eventuell Fäulniss-
pilze) Körpertheile umwandeln und für das eigentliche Kontagium vorbereiten
(diablastische Theorie Nägeli), oder so, dass die von Kranken abgegangenen
spezifischen Kontagienpilze sich zuänchst an einem geeigneten Ort entwickeln
und vermehren, dass sie namentlich in dem Boden bei gewisser Feuchtigkeit
und Verunreinigung desselben aufbewahrt werden, vielleicht erst sog. Dauer-
formen bilden und endlich unter gleichen Bedingungen wie die Miasmen auf-
1) Resolution des internationalen Kongresses für Hygiene, Wten 1887: „Bei der nachge-
wiesenen Möglichkeit der Krankheitserregung durch infizirtes Trink- und Gebrauchswasser ist
die Sorge für gutes, unverdächtiges Wasser eıne der wichtigsten Massregeln der öffentlichen
Gesundheitspflege.“
2) Nach Koch bleibt der Cholerapilz im Flusswasser bis zu 140 Tage, in schlechtem
Brunnenwasser 30, in Kanalwasser 7, in Grubenjauche nur 1 Tag erhalten. Durch Trocken-
heit wird er rasch vernichtet. e
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