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Fadenmikrometer.
Bei allen diesen verschiedenen Typen tragen der feste Rahmen und der
bewegliche Schlitten, bezw. beide Schlitten einen oder auch mehrere feine
Spinnenfäden, welche senkrecht zur Bewegungsrichtung stehen, und ausserdem
der erstere oder der ihn ersetzende Schlitten einen oder mehrere Querfäden.
Die mittleren Fäden eines jeden Systems sind in der Regel so angeordnet, dass
sie sehr nahe durch die Rohrachse gehen oder bei einer gewissen Stellung des
Schlittens oder des ganzen Gehäuses in sie gelangen.
Die Fäden, mit denen seit Anfang des Jahrhunderts und nach einem zuerst von Fontana
( 1775 ) gemachten Vorschlag die Mikrometer versehen werden, sind die Fäden unserer gewöhn
lichen Kreuzspinne und werden dem Cocon entnommen, mit welchen sie ihre Eier umspinnt. Sie
haben vor allen anderen Fäden den grossen Vorzug, dass sie innerhalb desselben Cocons von
genau gleicher Dicke sind, dagegen von Cocon zu Cocon innerhalb so weiter Grenzen variiren,
als es für den jeweiligen Zweck erwünscht sein kann. O. Struve benutzte in dem 15 zölligen
Refractor der Pulkowaer Sternwarte Fäden von nur 5'3 p. Dicke, welche aber im Laufe der
Zeit durch Ansetzen von feinen Staubtheilchen bis auf das doppelte anwuchs; die Fäden
im Mikrometer des 18 zölligen Strassburger Refractors haben eine Dicke von rund 10 p.. Sehr
feine Fäden erhält man aus dem Spinnengewebe selbst oder wenn man das vom Spinnen müde
Insect längs eines Stäbchens laufen lässt und es durch kleine Erschütterungen nöthigt, sich an
einem Faden herabzulassen. Diese Fäden sind aber nicht cylinderförmig, sondern eben oder
auch gedreht und überhaupt unregelmässig, und stehen daher für den Gebrauch der Astronomen
den Coconfäden nach. Der praktische Astronom thut daher gut, um für alle Fälle versorgt zu
sein, eine Anzahl derartiger Cocons, welche man in hölzernen Schuppen, unter Eisendächern
u. s. w. findet, sorgfältig aufzubewahren, nachdem die Eier durch sanftes Klopfen daraus ent
fernt worden sind. Die Spinnenfäden sind stark hygroskopisch, ein Umstand, welcher für ihre
Anwendung nicht hinderlich wird, wenn man beim Aufspannen auf den Rahmen darauf Rück ■
sicht nimmt. Es möge hier kurz das Verfahren angegeben werden, unter der Voraussetzung,
dass auf den einander gegenüberstehenden Rändern des Rahmens oder Schlittens bereits Striche
vorgezogen sind, welche die Lage der Fäden bestimmen und zugleich als Rillen dienen, um
sie aufzunehmen. Man befestigt den Rahmen auf einem passenden Holz- oder Drahtgestell
derart, dass die Ränder frei vorstehen. Hierauf zupft man aus dem Cocon einen Faden Von
geeigneter Länge und befestigt, nachdem man sich durch eine Lupe überzeugt hat, dass er
keine Verdickungen oder Knoten hat, an dem einen freien Ende (mittelst Wachs) ein kleines Blei
stückchen, und ein ebensolches an dem zweiten Ende, worauf man den Faden vom Cocon
abtrennt. Indem man ihn nunmehr an dem einen Bleistückchen hält, lässt man das andere
langsam herunter, bis es frei hängt, taucht den Faden in seiner ganzen Länge in ein mit Wasser
gefülltes Gefäss und legt ihn darauf behutsam an der betrefienden Stelle über den Rahmen,
wobei man, wenn nöthig, mit einer Nadel nachhilft, damit er genau in die Rillen zu liegen
kommt. In diesem Zustand hoher Spannung wird der Faden durch Schellack, den man mittelst
eines zugespitzten Hölzchens aufträgt, befestigt; nachdem der Schellack vollständig getrocknet
Ist, werden die Enden abgeschnitten. Ist die Operation gut ausgeführt, so darf man sicher sein,
dass der Faden auch bei dem höchsten Feuchtigkeitsgrade der Luft straff bleibt. Das mehr
fach angewandte Verfahren, den Faden an den Schenkeln eines Zirkels zu befestigen und
mittelst derselben zu spannen, muss durchaus verworfen werden. Damit die beweglichen Fäden
frei an den festen Fäden vorübergehen, müssen die Ebenen, in denen die beiden Systeme liegen,
einen gewissen Abstand von einander haben, welcher jedoch auf ein Minimum beschränkt
werden muss, damit keine merkliche Focaldifferenz entsteht. Diese Regulirung geschieht meist
mittelst einer Correctionsschraube, welche den beweglichen Schlitten höher oder niedriger zu
stellen erlaubt; ist derselbe einmal in die richtige Lage gebracht, so wird man selten Veran
lassung haben, etwas daran zu ändern. Dagegen kann es bei dem sehr geringen Abstand
beider Fadenebenen (von nur einigen Hunderttheilen eines Millimeter) Vorkommen, dass der
ungestörte Vorübergang der Fäden durch feine Staubkörnchen, die an dem einen oder anderen
Faden haften, verhindert wird. Solche Verunreinigungen können leicht durch Blasen mit dem
Mund oder mittelst eines Gummiballons, oder falls dieses nicht ausreicht, durch sanftes Herab
fahren an dem Faden mit einer ganz weichen Flaumfeder beseitigt werden. Natürlich ist hier-