90
Von den wirklichen Bewegungen der Himmelskörper.
des Erdmeridians am größten am Aeqnator, am kleinsten an den Polen. Es
würden also in diesem Palle gleichen Bogen des Erdmeridians ungleiche Bogen
des Himmelsmeridians entsprechen. Hieraus folgt aber umgekehrt von seihst,
daß zu gleichen Bogen des Himmelsmeridians ungleiche Bogen des Erdmeri
dians gehören müssen; am größten sind die letzteren Bogen an den Polen, am
kleinsten am Aequator.
Nun ist aber der Himmel mit seinen Gestirnen gleichsam unser Wegweiser
auf der Erde. Hat unser Zenith, indem wir im Meridiane reisen, sich am
Himmel durch 1, 2, 3, 4 Grade bewegt, und dies wird der Fall sein,
wenn z. B. die Polhöhe oder die Zenithdistanz des Poles resp. 1, 2, 3, 4
Grade größer oder kleiner geworden sind, als sie an dem Ausgangspunkte
waren; so schließen wir, daß wir auch auf dem Erdmeridiane eine gleiche
Anzahl von Graden fortgeschritten sind. Nach dem Obigen müssen aber diese
Grade des Erdmeridians ungleich sein, und zwar ergiebt sich folgendes Resultat:
Wenn die Erde eine rotirende und darum abgeplattete Kugel ist,
so müssen die Grade der Erdmeridiane von ungleicher Größe
sein. Sie müssen vom Aequator zu den Polen hin stetig an Größe
zu-, und umgekehrt von den Polen nach dem Aequator hin stetig
abnehraen. Sie müssen am größten an den Polen, am kleinsten
am Aequator sein.
Wenn sich dies als wirklich bestehend nachweisen ließe, so würde dadurch
sowohl die Abplattung der Erde an den Polen, als auch die Rotation derselben
außer Zweifel gesetzt sein. Um über letztere zur Gewißheit zu gelangen,
mußten Mittel ersonnen werden, die Größe der Meridiangrade in verschiedenen
Gegenden der Erde zu messen; denn nur durch sehr genaue Messungen ist hier
zu einem sicheren Resultate zu gelangen.
Solche Messungen, Gradmessungen genannt, sind .seit dem Anfänge
des 17. Jahrhunderts bis in die Gegenwart hinein vorgenommen worden, und
sie haben den ersten direkten Beweis für die Rotation der Erde geliefert. Wir
wollen in dem Folgenden das Wichtigste über dieselben in der Kürze mittheilen.
A. Die Gradmessungen.
1. Verfahren dabei. Bei den Gradmessungen kommt es zunächst darauf
an, zwei geeignete Punkte im Erdmeridian für die Beobachtung und Messung
auszuwählen. Dann müssen an beiden Punkten Messungen der Polhöhe oder
der Zenithdistanzen des Poles vorgenommen werden, um zu erfahren, wie viel
Grade und Theile derselben jene beiden Punkte von einander entfernt sind.
Hätte man z. B. die Differenz der gefundenen Polhöhen oder der Zenithdistanzen
des Poles = 1° 8' 14" gefunden, so wären jene beiden Punkte des Erdmeri
dians ebenfalls um diese Größe von einander entfernt. Nun wäre nöthig,
durch unmittelbare Messung mit einer Meßkette oder sonstigen geeigneten
Meßinstrumenten die Länge des Meridianbogens zwischen den beiden gewählten
Punkten zu bestimmen und daraus die Größe eines Meridiangrades an der