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Von den wirklichen Bewegungen der Himmelskörper.
(Sternzeit) eine volle Drehung von 0. nach W. zu vollbringen scheinen muß.
Auf diese Weise wäre es sehr leicht, an den Polen eine natürliche Uhr zu
construiren. Man hätte nur um den Pol als Mittelpunkt einen Kreis zu zeich
nen und diesen in 24 gleiche Tlioile, den Stunden des Tages entsprechend, zu
theilen. Die Spitze dos Pendels würde dann als Stundenzeiger dienen.
So einfach, wie an den Polen, gestalten sich in den mittleren Breiten die
Verhältnisse aber nicht. Hier macht die Vertikale, durch welche die Schwin
gungsebene des Pendels geht, mit der Rotationsachse der Erde einen Winkel,
der um so größer wird, je weiter man sich von den Polen entfernt, bis er am
Aequator zu einem rechten wird. Bei der Rotation der Erde aber beschreibt
die Vertikale der zwischen dem Aequator und den beiden Polen liegenden
Beobachtungsörter den Mantel eines Kegels, dessen Spitze im Erdmittelpunkte
liegt, und der um so stumpfer wird, je mehr man sich dem Aequator nähert.
Auf dem Aequator selbst fällt die Vertikale stets mit der Ebene des Aequators
zusammen, ohne einen Kegel zu durchlaufen. Hierdurch aber und durch die
damit verbundene eigentümliche Lage des Horizontes treten für die Ablenkung
des Pendels ganz eigentümliche Verhältnisse ein.
Die Hauptfrage, auf deren Beantwortung es eigentlich allein ankommt, ist
die: Wieviel dreht sich bei der Achsendrehung der Erde der
Horizont des Beobachtungsortes nm seine Vertikallinie? Bei den
Polen war es, wie wir gesehen haben, eine ganze Drehung in 24 Std. Wie
gestaltet sich die Sache am Aequator? Hier bleibt die Vertikale stets in
der Ebene dieses Kreises, da sie rechtwinklig auf der Drehungsachse der Erde
steht. Beachtet man aber die Richtung der Meridiane, so können dieselben
(in kleinen Theilen), eben so wie die Mittagslinien aller Horizonte auf dem
Aequator, als mit einander parallel laufend angesehen werden, wie aus der
Fig. 36 an den Mittagslinien ns der kleinen gezeichneten Horizonte erkannt
werden kann. Bei der Achsendrehung der Erde beschreiben sämtliche Mittags
linien den Mantel eines Cylinders. Dabei findet aber, wie leicht einzusehen
ist, keine Drehung des Horizontes um die Vertikale statt, vielmehr ist die ganze
Drehung des Horizontes am Aequator als eine Drehung um die Mittags -
linie zu betrachten. Ein am Aequator schwingendes Pendel kann demnach
keine Abweichung zeigen, sondern muß stets nach derselben Himmelsgegend
gerichtet bleiben.
Anders verhält sich die Sache zwischen dem Aequator und den Polen, wo
die Drehung des Horizontes eine zusammengesetzte, nämlich zum Theil eine
Drehung um die Mittagslinie, zum Theil eine Drehung um die
Vertikale ist. Erstere Bewegung überwiegt nach dem Aequator zu, bis sie
auf diesem allein übrigbleibt; letztere wächst mit der Annäherung an die Pole,
woselbst sie nur noch allein vorhanden ist.
Daß in den Gegenden zwischen dem Aequator und den Polen überhaupt
eine Abweichung des Pendels sich bemcrklicli machen muß, ist sehr leicht ein
zusehen. Schreiten nämlich die Mittagslinien aller Oertor des Aequators sich