Die Sonne.
303
Nach den ersten Beobachtungen der Protuberanzen war man ungewiß
darüber, ob dieselben der Sonne angehörten, oder vielleicht nur Erscheinungen
seien, die durch Beugung des Lichtes an dem zackigen Mondrande hervorge
bracht würden, bis man durch die Finsternis am 18. Juli 1860, zu deren Be
obachtung viele Astronomen nach Spanien gereist waren, zn der Ueberzeugung
kam, daß sie der Sonne angehören müßten. Denn Prof. Bruhns in Leipzig
bemerkte zu Tarragona eine Protuberanz am oberen Mondrande bereits 2 Mi
nuten vor Anfang der Totalität und sah sie auch noch längere Zeit nach der
selben, im ganzen 12 Minuten lang, ohne daß sie merklich ihre Position ver
änderte, was hätte geschehen müssen, wenn der sich bewegende Mond die
Veranlassung derselben gewesen wäre. — Noch mag bemerkt werden, daß die
Protuberanzen, und namentlich die Flammenbüschel, sich an solchen Stellen des
Sonnenrandes gezeigt haben, wo kurz vor und nach der Finsternis in der Nähe
des Sonnenrandes sich Flecken und Fackeln befanden. Außerdem haben Edlund
1851 und Prazmowsky 1860 gefunden, daß das Licht der Corona polarisirtes,
also reflektirtes Licht ist, während das der Protuberanzen nicht polari-
sirt ist, und daher von selbstleuchtenden Gasen erzeugt sein dürfte.
Hören wir nach diesen wichtigsten Resultaten der merkwürdigen Erschei
nungen mittelst des Fernrohrs schließlich noch, welche neuen Aufschlüsse
eine der wichtigsten Entdeckungen der Neuzeit, die von Bimsen und Kirclihoff
in Heidelberg bewirkte Spektralanalyse, ergeben hat.
16. Spektralanalyse der Sonne. Wir wollen versuchen, den Ge
dankengang dieser beiden deutschen Gelehrten in möglichst populärer Form
zum Verständnis zu bringen.
Wohl jedem Laien ist bekannt, daß, wenn man einen Gegenstand durch
ein eckig geschliffenes Glas betrachtet, sich um das Bild desselben farbige
Ränder bilden. Läßt man ferner durch eine kleine runde Oeffnung in einem
gut schließenden Fensterladen einen Büschel Sonnenlichtes in das finstere Zimmer
fallen und dann durch die Kante eines sogenannten Prismas gehen, so wird
das zuvor weiße Sonnenlicht gebrochen und in die bekannten 7 Regenbogen
farben: roth, orange, gelb, grün, hellblau, dunkelblau und violett, aufgelöset;
zugleich erscheint das ursprünglich runde Sonnenbild auf einem jener Oeffnung
gegenüberliegenden weißen Schirm lang gezogen und in den genannten 7 Farben
erglänzend. Dieses interessante farbige Sonnenbild heißt das Sonnenspektrum.
Schon der Engländer Wollaston entdeckte 1802 in diesem Spektrum zwei dunkle
Querlinien, die rechtwinklig zur Längsrichtung desselben waren. Der berühmte
Optiker Fraunhofer in München entdeckte später mit Hilfe wesentlich ver
besserter Instrumente gegen 600 solcher immer an derselben Stelle des Spektrums
und in gleicher Gruppirung sich zeigenden Querlinien, die jetzt allgemein als
Fraunhofersehe Linien bekannt sind. Die wichtigsten derselben pflegen
mit den Buchstaben A, B, C, I), F, F, G, II bezeichnet zu werden. In der
neuesten Zeit ist es gelungen, mit noch mehr verbesserten Hilfsmitteln gegen
3000 solcher Linien zu unterscheiden. Auch die beiden oben genannten Ge-