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Topographie des Himmels.
gleichen jährlich 50",221 beträgt, so fiel im Jahre 1872 v. Chr. der Früh
lingspunkt 51° 32' östlicher als gegenwärtig; er befand sich damals auf der
Grenze der beiden Sternbilder Widder und Stier, im Anfang des ersteren. Der
Sommersolstitialpunkt hatte eine Länge von 141 0 32'; er lag daher im Vorder
fuße des Löwen. Der Herbstpunkt hatte eine Länge von 231° 32'; er befand
sich am Ende der Wage nahe dem Skorpion, und der Wintersolstitialpunkt lag
in 321° 32' Länge, zwischen Steinbock und Wassermann. Natürlich hatten
damals auch der Himmelsäquator und die Pole eine andere als die heutige
Lage. So lag der Nordpol in AR 204° und T> + 70° 10' zwischen dem
kleinen Bären und dem Drachen, und der Aequator sowie alle anderen Kreise
des Himmels gingen durch andere Sterne. Verändert man an einem Himmels
globus die Pole in der angedeuteten Weise und stellt man dann denselben für
eine Polhöhe von etwa 25° ein, so wird man durch Drehung der Himmels
kugel leicht die Sternbilder erkennen, die nach Sonnenuntergang am Morgen
himmel aufgingen, und die eben, wie bereits angedeutet, von den alten Aegyp-
tern mit den Erscheinungen, die ihnen ihr Land im Laufe eines Jahres darbot,
in symbolische Verbindung gebracht wurden.
Noch muß erwähnt werden, daß bei den Aegyptern eine eigenthümliche
Eintheilung des Jahres in Gebrauch war. Wie noch heute, regelte der Nil,
der Segenspendende, alle Thätigkeiten des Volkes. Man unterschied nicht vier,
sondern nur drei Jahreszeiten: 1) die der Ueberschwemmung, welche un
gefähr mit dem Sommersolstitium begann, 2) die des Wachsthums und
3) die der Ernte, und theilte jede in 4 Monate (Tetramenien).
4. Deutung der Sternbilder des Thierkreises. Wie gesagt, begann
die Zeit der Ueberschwemmung mit dem Sommersolstitium. Ging zur Zeit
dieses Solstitiums im ersten Monat der Ueberschwemmung (der 1. Thoth
entspricht dem 20. Juli des julianischen Jahres) die Sonne am Abend unter,
so kam ihr gegenüber das Sternbild des Steinbocks herauf. Der Steinbock
ist ein Thier, das gern auf die Berge steigt, und es erscheint deshalb als
zweckmäßig, dasselbe mit dem beim Sommersolstitium beginnenden Anschwellen
des Nils in symbolische Verbindung zu bringen. Daß dieses Sternbild als mit
dem Wasser in Verbindung stehend gedacht worden ist, zeigt wohl der fisch
ähnliche Hinterleib, den dieses Thier auf der ägyptischen Sphäre hatte, und
mit dem es auch jetzt noch dargestellt zu werden pflegt. Die beiden
eigenthümlichen am Kopf des Sternbildes stehenden, leicht kenntlichen Sterne
zeigten das Erscheinen der Ueberschwemmung schon einige Zeit vorher an. —
Die ebenfalls sehr alten Zeichen für die Sternbilder des Zodiakus sind als
Andeutungen, als graphische Abkürzungen des Bildes zu betrachten, und es ist auch
im Zeichen des Sternbildes £> einige Aehnlichkeit mit dem Bilde wohl zu erkennen.
Im zweiten Monat der Ueberschwemmung (der 1. Paophi = dem
19. August) erreichte der Nil, und zwar ungefähr in der Mitte dieses Monats,
seine größte Höhe. Aegypten erschien als ein großer See, auf dessen Wellen
die Städte zu schwimmen schienen.