Von der Kugelgestalt der Erde.
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kraft unsere Füße beständig dem Erdmittelpunkte zu. Unsere Scheitellinien
bleiben also nicht parallel, sondern treffen im Mittelpunkte der Erde zusammen
und machen dort je nach unserer Ortsveränderung verschiedene Winkel mit
einander. Diese Winkel werden gemessen durch den Bogen am Himmel, welchen
unser Zenith gegen die Fixsterne fortschreitet. Die Erfahrung lehrt, daß,
wenn wir ungefähr 15 d. Min. auf einem Meridian fortschreiten, die Zenith
veränderung 1 0 beträgt. Da wir aber zu unserm Horizonte stets senkrecht
bleiben, so muß auch unser Horizont seine Lage um 1 0 geändert haben. Gehen
wir nach Norden, so sinkt nach einer Wanderung von c. 15 d. Min. die Nord
seite unseres Horizontes 1° herab, während das Südende sich 1° hebt; die
Polhöhe muß also ebenso viel größer, die Aequatorhöhe kleiner werden. Bei
Reisen nach Süden ändern auch das Zenitli und der Horizont mit je 15 d. Min.
ihre Lage um 1 °, und die Polhöhe wird ebenso viel kleiner, die Aequatorhöhe
aber größer. So ist also die oben beschriebene Erfahrung leicht erklärlich.
Man kann sich das Gesagte leicht veranschaulichen, wenn man eine kleine
Pappscheibe, die unsern Horizont darstellen soll, und in deren Mittelpunkt etwa
eine Nadel senkrecht befestigt ist, die Richtung der Vertikallinie bezeichnend,
auf dem Meridian eines Erdglobus so fortbewegt, daß sie denselben mit ihrem
Mittelpunkte berührt.
Daß die beschriebenen Erfahrungen ein Mittel abgeben, die Größe des
Erdumfangs zu messen, worden wir später genauer betrachten.
7. Reisen in der Richtung der Parallelkreise. Wenn man sich von
einem beliebigen Orte der Erde aus, nachdem man eine gute Uhr nach der
Zeit dieses Ortes richtig gestellt hat, zu Oertern begiebt, die nach 0. liegen, so
findet man, daß die mitgenommene Uhr mit richtig gehenden Uhren der neuen
Oerter nicht übereinstimmt, sondern gegen dieselben nach geht, und dieser
Zeitunterschied ist um so bedeutender, je weiter der neue Ort von dem ersteren
nach 0. liegt. Wäre man z. B. auf einer Reise von Berlin bis Warschau ge
kommen, so würde die Uhr schon eine Differenz von nahe einer halben Stunde
zeigen; in Saratow an der Wolga hingegen würde der Unterschied schon auf
mehr denn 2 Std. angewachsen sein, um so viel also die mitgenommene Uhr
gegen die in Saratow nach-, diese gegen erstere also Vorgehen. Die entgegen
gesetzten Erfahrungen macht man, wenn man nach W. reiset; es geht nämlich
die mitgenommene Uhr gegen die Uhren der nach W. gelegenen Oerter vor,
und dies wieder um so mehr, je größer die Entfernung nach W. ist. In
Amsterdam z. B. zeigen die Uhren gegen Berliner Uhren schon eine Differenz
von mehr als J /2 Std., in London von beinahe 1 Std., in Dublin schon von
nahe 1 1 / 2 Std.; um so viel geht die Berliner Uhr gegen die Uhren der ge
nannten Oerter vor. Ein solcher Zeitunterschied wird aber nicht nur auf Reisen,
sondern auch dann wahrgenommen, wenn etwa ein Ereignis am Himmel, z. B.
eine Mondfinsternis, von verschiedenen Oertern aus zugleich beobachtet wird.
An allen mehr nach 0. gelegenen Oertern tritt das Phänomen zu einer früheren,
an» den mehr nach W. gelegenen zu einer späteren Tagesstunde (nach den