Full text: Allgemeine Himmelskunde

Von der Kugelgestalt der Erde. 
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der Schatten der Erde, durch welchen der Mond in seiner Bahn um die Erde 
zuweilen gehen muß. Nun ist aber die Gestalt eines Körpers stets maßgebend 
für die Gestalt seines Schattens, und es kann daher umgekehrt aus dieser 
letzteren auf die Gestalt des Körpers geschlossen werden. Einen kreisförmigen 
Schatten können nun zwar Körper von sehr verschiedener Form werfen, z. B. 
eine Scheibe, eine Kugel, ein Cylinder u. dgl., allein diese letzteren nicht in 
allen, sondern nur in ganz bestimmten Lagen zum leuchtenden Körper. Bei 
Mondfinsternissen aber, die zu den verschiedensten Zeiten, und darum in den 
verschiedensten Stellungen der Erde zur Sonne stattgefunden haben, ist die 
Gestalt des den Mond verdunkelnden Erdschattens stets von derselben, kreis 
förmig begrenzten Gestalt gewesen. Es kann aber nur eine Kugel in allen 
Lagen zum Lichte einen kreisförmigen Schatten hervorbringen, und daher 
sprechen auch die Mondfinsternisse für die Kugelgestalt der Erde. Die Beweis 
kraft dieser Finsternisse wird noch überzeugender, wenn wir bedenken, daß die 
Erde, wie wir weiter unten erfahren werden, sich um ihre Achse dreht, während 
sie durch den Erdschatten hindurchgeht, wozu, beiläufig gesagt, oft mehr als 4 Std. 
erforderlich sind. Wäre die Erde keine Kugel, ihr Schatten müßte es verrathen. 
9. Schluß nach der Analogie. Auch der Himmel mit seinen Sternen 
vermag Zeugnis über die Gestalt "der Erde abzulegen. Es erscheinen nämlich 
Sonne und Mond unsern bloßen Augen als kreisrunde Scheiben; durch das 
Fernrohr betrachtet, geben sie sich aber an später noch mitzutheilenden Kenn 
zeichen entschieden als Kugeln zu erkennen, und nicht nur sie, sondern auch 
die größeren, einer näheren Beobachtung zugänglichen Planeten stellen sich 
deutlich als Kugeln dar. Da nun unsere Erde auch ein Planet ist, alle übrigen 
uns näher bekannten Planeten aber kugelförmige Körper sind; so wird außer 
andern Eigenschaften die Erde auch höchst wahrscheinlich dieselbe Gestalt 
mit diesen gemein haben. Es wird hier also der Schluß nach der Ana 
logie erlaubt sein; denn was von allen bekannten Körpern einer Gattung 
gilt, das wird auch wohl für einen einzelnen Körper derselben Gattung 
Giltigkeit haben. 
10. Innere Gründe. Attraction. Noch überzeugender sprechen auch 
innere Gründe dafür, daß die Erde eine Kugel sein müsse, und zwar die ihr 
inwohnende Anziehungskraft. Der Kegentropfen, der Tropfen Thau u. s. w. 
zeigen bekanntlich die Kugelgestalt. Nach den Gesetzen der Anziehung müssen 
die Theile einer Flüssigkeit, sich selbst überlassen, eine kugelförmige Gestalt 
annehmen, weil bei dieser Gestalt das Gleichgewicht zwischen den einzelnen 
Theilen der Flüssigkeit hergestellt wird. Man findet darum die Kugelgestalt 
so außerordentlich häufig in der Natur, daß man sie wohl die Lieblingsform 
der Natur genannt hat. Wenn nun die Erde — und außerordentlich viele Gründe 
sprechen dafür — zur Zeit ihrer Bildung in einem mehr oder weniger flüssigen 
Zustande sich befunden hat, so muß auch sie, wie ein Tropfen im Welten 
raume schwebend, nach den in ihr waltenden Attractionsgesetzen die Kugelform 
angenommen haben. 
Wetzel, Himmelskunde. 
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