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mathematische Theorie einfach genug ist, liier auseinanderzusetzen, vielmehr werde idi
sogleich zu der allgemeinen Aufgabe schreiten: wenn die dritte Dimension nur zum
Theil im Bilde vorhanden sein soll, die Construction des körperlichen Bildes zu
finden, und zwar so, dass diese Dimension für ein bestimmtes Auge vollständig
vorhanden zu sein scheine.
Diese Aufgabe ist in neuerer Zeit durch Herrn Poncelet in seinem klassischen Werke:
Traité des propriétés projectives des figures, Paris 1822, auf die Bahn gebracht, und unter der Ru
brik Supplément sur les propriétés projectives des fgures dans l'espace gelost worden. Der Herr Ver
fasser sagt in einer Anmerkung: Je ne connais aucun Traité de perspective où l'on ait posé des régies
fxes pour la construction des bas-reliefs; l'Encyclopédie elh-mème, qui traite de tout, ne parle que d'une t
manière vague, d’harmonie: de dégradation des objets, d’effets de lumière dre., en se contentant, pour le
reste, de renvoyer aux règles de perspective ordinaire. Demungeachtet ist die Erfindung der Per
spective für Basreliefs schon alt. Denn bereits im Jahre 17D8 erschien in Magdeburg bei Keil:
„Versuch einer Erläuterung der Reliefsperspective, zugleich für Maler eingerichtet von J. A.
Breysig,“ 0 ) so dass der berühmte französische Geometer nur als zweiter Erfinder anzusehen ist.
Es versteht sich von selbst, dass die Darstellung bei beiden Verfassern sehr verschieden ist,
ullein durch eine genaue Vergleichung zwischen beiden Lösungen der in Rede stehenden Aufga
be, überzeugte ich mich bereits vor mehren Jahren, dass sie in Hinsicht auf mathematische All
gemeinheit gleichen Werth haben, und vollkommen identisch sind. Der Nutzen dieser Wissen
schaft scheint für die Mathematik grosser zu sein, als für die bildende Kunst. So wie nämlich
die gewöhnliche Perspective in der ebnen Geometrie mit Vortheil gebraucht werden kann, so
dient auch die Basrelief-Perspective als ähnliches Ilülfsmittel in der körperlichen; die Erfahrung ^
lehrt dagegen, dass die grössten plastischen Künstler bei der Verfertigung von Basreliefs jene
Theorie nicht vermissen, und, ohne auf dieselbe Rücksicht zu nehmen, ihre Kunstwerke vollen
den. Ein Basrelief hat zwar ini Allgemeinen seiner Natur nach nicht die Bestimmung, vollkom
mene Täuschung hervorzubringen, auch dürften die natürlichen Schatten diesem Zwecke stets
hinderlich bleiben, indessen ist dennoch die Frage, ob nicht eine Befolgung der allgemeinsten
Regeln der Basrelief-Perspective, namentlich wenn Architektur-Gegenstände abgebildet werden,
einer ganz willkührliehen Construction vorzuziehen sei? — eine Frage, deren Entscheidung wir
den bildenden Künstlern anheimstellen müssen.
Um das Wesen und die Bedeutung der Basrelief-Perspective in mathematischer Hinsicht
?uf eine leichte Art anschaulich zu machen, habe ich im Folgenden die analytische Darstellungs
weise gewählt.
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Der Raum, in welchem das Bild dargestellt werden soll, ist zwar nach drei Dimensio
nen ausgedehnt, jedoch nach einer hin beschränkt; wir wollen ihn daher ansehen, als zwischen
*) Professor der schönen Künste und damals erster Lehrer an der Königl. Provinzial-Kunstschule zu Magdeburg,
später Direktor der Kunstschule zu Danzig, woselbst er 1S31 starb.
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