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Fantasie sich für Könige des Himmels und ,,Kinder
Gottes“ halten, und sich lieber an einem ekelhaften, stier-
mässigen und eselhaften Glauben, als an nützlichen, reellen
und grossherzigen Werken erbauen.
Saulin: Da wird man bald einsehen, o Sofia, wie diese, welche
so freigebig sind, Königreiche im Jenseits zu verschenken,
und die sich für designierte Herrscher des empyreischen
Himmels halten, kaum im Stande sind, sich eine Hand
breit Erde zu erwerben; wie verschwenderisch sie alsdann
wol ihre „Merkure“ aus ihrem eigenen Vermögen unter
halten werden, vielleicht werden sie dann, bei dem geringen
Glauben, den sie zu den Werken der Liebe haben, diese
„Gesandten Gottes“ zu der Notwendigkeit zurückführen,
den Acker zu bestellen oder sonstiges mechanisches Tage
werk zu betreiben, während sie jetzt, ohne sich allzusehr die
Köpfe zu zerbrechen, versichern, dass, ich weiss nicht was
für eine Gerechtigkeit eines andern ihnen selber zur eigenen
Gerechtigkeit geworden sei; auch dürften sie von einer
solchen Rechtfertigung und Reinigung schon allein des
halb auszuschliessen sein, weil sie die Räubereien, Gewalt-
thätigkeiten und Morde, die sie begangen haben, nicht
bereuen und von Almosen, Werken der Mildthätigkeit,
des Mitleids und der Gerechtigkeit anderer sich nichts
zurechnen und nichts erhoffen können.
Sofia: Wie soll es nur möglich sein, o Saulin, dass ein so
verderbtes Gewissen jemals Verlangen nach Bethätigung
guter Werke und wahre Reue und Abscheu vor irgend
welcher Gemeinheit empfinden wird, wenn sie selbst bei
ihren begangenen Sünden sich so leicht beruhigen können
und so wenig Vertrauen zu den Werken der Gerechtigkeit
fassen wollen.
Saulin: Du hast die Folgen dieser Lehre vor Augen, o Sofia.
Denn es ist nur eine allzu wahre Erfahrung, dass, wer
immer, mag es sein von welchem anderen Bekenntnis und
Glauben, zu diesem übergeht, alsbald sich aus einem
Freigebigen in einen Geizigen, aus einem Bescheidenen in
einen Anspruchsvollen, aus einem Demütigen in einen