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So sind auch unter den Menschen solche, die dem
Wesen des Schweines, Esels, oder Affen näher stehen,
verhältnismässig weniger boshaft und werden nicht von
so grossen Lastern und Leidenschaften ergriffen. Allein
deswegen sind diese doch keineswegs tugendhafter zu
nennen, es sei denn, dass man auch die Tiere bloss deshalb,
weil sie der grossen menschlichen Laster nicht teilhaftig
sind, als tugendhafter denn die Menschen bezeichnen möchte.
Aber wir reden nicht von der Tugend der Enthaltsamkeit
bei der Sau, die sich nur einmal im Jahre von einem
einzigen Eber bespringen lässt, sondern bei einem Weibe,
das nicht blos einmal zum blossen Zwecke der Fort
pflanzung vom Geschlechtstriebe gereizt wird, sondern viel
fach von der blossen Wollust und bewussten Begierde gelockt
wird und sich dabei als Zweck seiner eigenen Handlungen
Zu seiner Tugend schwerem Siege,
Der Sohn der heiligen Natur;
Der hohen Geister höchste Gabe,
Der Tugend Löwenkraft begann
Im Siege, den ein Götterknabe
Den Ungeheuern abgewann.
Es kann die Lust der gold’nen Ernte
Im Sonnenbrände nur gedeih’n;
Und nur in seinem Blute lernte
Der Kämpfer frei und stolz zu sein.“
Den besten philosophischen Kommentar zu dieser von Bruno hier
dem Zeus in den Mund gelegten Bevorzugung des schmerzlichen Ent
wicklungskampfes der Menschheit vor dem Glückseligkeitszustande der
Paradiesesruhe findet man bei Fichte, „Grundzüge unseres gegenwärtigen
Zeitalters“ und Schiller, „Etwas über die erste Menschengesellschaft nach
dem Leitfaden der mosaischen Urkunde.“ (1. Übergang des Menschen zur
Humanität und Freiheit.) Aus der klassischen Darstellung Schillert mögen
folgende Sätze hier allegiert werden:
„Sanft und lachend war der Anfang des Menschen, — —
setzen wir aber, die Vorsehung wäre auf dieser Stufe mit ihm still
gestanden, so wäre aus dem Menschen das glücklichste und geist
reichste aller Tiere geworden, — aber aus der Vormundschaft
des Naturtriebes wär er niemals getreten, frei und also moralisch
wären seine Handlungen niemals geworden, über die Grenze der Tierheit
wär er niemals gestiegen. In einer wollüstigen Ruhe hätte er eine ewige
Kindheit verlebt — und der Kreis, in welchem er sich bewegt hätte,
wäre der kleinstmöglichste gewesen, von der Begierde zum Genuss, vom
Genuss zu der Ruhe und von der Ruhe wieder zur Begierde. Aber der
Mensch war zu ganz etwas anderem bestimmt, und die Kräfte, die in
ihm lagen, riefen ihn zu einer ganz anderen Glückseligkeit. Was die
Natur in seiner Wiegenzeit für ihn übernommen hatte, sollte er jetzt
selbst für sich übernehmen, sobald er mündig war. Er selbst sollte der
Schöpfer seiner Glückseligkeit werden, und nur der Anteil, den er daran