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betrachtet. Ebenso glauben wir auch die Enthaltsamkeit
eines Mannes oder Weibes von sau- oder eberartiger
Körperbeschaffenheit, die wegen Grobheit und Stumpfheit
ihrer Nerven nur selten und schwach vom Gefühl der
Wollust gereizt wird, oder derjenigen eines Menschen
von kalter, verhexter oder abgelebter Organisation ver
hältnismässig nur geringe Anerkennung zollen zu müssen.
Ganz andere Achtung verdient die Keuschheit, die wirklich
Keuschheit und eine wahrhaftige Tugend ist, bei einer
zarteren, besser genährten, geistigeren und feinfühligeren,
empfänglicheren Konstitution. Unter Berücksichtigung
allgemeiner klimatischer Verhältnisse ist demgemäss
Keuschheit kaum eine Tugend zu nennen in Deutsch
land, eher schon in Frankreich, weit mehr in Italien
hätte, sollte den Grad seiner Glückseligkeit bestimmen. Er sollte den
Stand der Unschuld, den er jetzt verlor, wieder aufsuchen lernen durch
seine Vernunft und als freier, vernünftiger Geist dahin zurückkommen,
wovon er als Pflanze und als eine Kreatur des Instinktes ausgegangen war,
aus einem Paradies der Unwissenheit und Knechtschaft sollte
er sich, wäre es auch nach späten Jahrtausenden, zu einem Paradies
der Erkenntnis und der Freiheit hinaufarbeiten, einem
solchen nämlich, wo er dem moralischen Gesetze in seiner Brust ebenso
unwandelbar gehorchen würde, als er anfangs dem Instinkte gedient
hatte, als die Pflanzen und die Tiere diesem noch dienen. Was war also
unvermeidlich'? Was musste geschehen, wenn er diesem weitgesteckten
Ziele entgegenrücken sollte. Sobald seine Vernunft ihre ersten Kräfte
nur geprüft hatte, verstiess ihn die Natur aus ihren pflegenden Armen,
oder richtiger gesagt, er selbst, von einem Triebe gereizt, den er selbst
noch nicht kannte, und unwissend, was er in diesem Augenblicke Grosses
that, er selbst riss ab von dem leitenden Bande, und mit seiner noch
schwachen Vernunft, von dem Instinkte nur von ferne begleitet, warf er
sich in das wilde Spiel des Lebens, machte er sich auf den gefährlichen
Weg zur moralischen Freiheit. Wenn wir also jene Stimme Gottes in
Eden, die ihm den Baum der Erkenntnis verbot, in eine Stimme seines
Instinkts verwandeln, der ihn von diesem Baume zurückzog, so ist sein
vermeintlicher Ungehorsam gegen jenes göttliche Gebot nichts anderes,
als — ein Abfall von seinem Instinkte — also erste Äusserung seiner
Selbsttliätigkeit, erstes Wagestück seiner Vernunft, erster Anfang seines
moralischen Daseins. Dieser Abfall des Menschen vom Instinkte,
der das moralische Übel zwar in die Schöpfung brachte, aber
nur, um das moralische Gute darin möglich zu machen, ist ohne
Widerspruch die glücklichste und grösste Begebenheit in der Menschen
geschichte; von diesem Augenblick her schreibt sich seine Freiheit, hier
wurde zu seiner Moralität der erste entfernte Grundstein gelegt. Der
Volkslehrer hat ganz recht, wenn er diese Begebenheit als einen Fall
des ersten Menschen behandelt und, wo es sich thun lässt, nützliche
moralische Lehren daraus zieht; aber der Philosoph hat nicht
weniger recht, der menschlichen Natur im Grossen zu diesem
wuchtigen Schritt zur Vollkommenheit Glück zu wünschen u. s. w.