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Die Jungfrau: — Keuschheit.
Sofia: „Nun, was soll aus der Jungfrau werden?“ fragte
die keusche Lucina, die Jägerin Diana. — „Fragt sie
doch,“ erwiderte Zeus, „ob sie nicht Lust hat, Priorin oder
Äbtissin irgend eines Schwester- oder Nonnen-Ordens
zu werden, wie sie sich in den Konventen und Klöstern
Europa’s finden, versteht sich in solchen Gegenden, wo
sie noch nicht ganz dem Verfall und der Auflösung des
Verderbs anheimgefallen sind; oder oh sie lieber die
jungen Damen der Höfe erziehen will, damit denselben
nicht der Appetit komme, die Früchte vor oder ausserhalb
der reifen Jahreszeit zu essen oder sich zu Nebenbuhlerinnen
ihrer dortigen Herrinnen zu machen.“ — „Oh!“ sagte
Dictyrma, „dass die nur nicht dahin zurückkehrt, von
wo sie einmal verjagt und so oft schon geflüchtet ist!“
Der Altvater fügte hinzu: „So bleibe sie denn sicher im
Himmel und hüte sich hübsch zu fallen, und nehme sich
ja in acht, an dieser Stelle nicht befleckt zu werden.“
Momus sagte: „Mir däucht, dass sie sich leicht rein und
unbefleckt erhalten kann, so lange sie sich beharrlich
fern hält von vernunftbegabten Geschöpfen, von Helden
und Göttern, und sich verbirgt unter Bestien, wie sie
es bislang gethan hat, da sie ihre westliche Seite durch
den wilden Löwen, die östliche aber durch den giftigen
Skorpion bewachen liess. Aber ich weiss nicht, was von
jetzt ab passieren wird, wo ihr Grossherz so nahe steht
mit seiner Liebenswürdigkeit, seinem Edelmut und seiner
Männlichkeit, möglicherweise wird der sie noch umarmen,
und sie durch intimen Verkehr mit ihm etwas gross
herziges, liebevolles, edles und männliches annehmen, und
so werden diese Tugenden sie am Ende aus einem Weibe
in einen Mann um wandeln, und sie aus einer Wald- und
Gebirgs-Göttin, einer Gottheit der Satyre und Faune zu
einer liebreichen menschlichen, zugänglichen und gast
lichen Gottheit machen.“
„Sie mag werden, was sie werden soll,“ antwortete
Zeus, „aber mit ihr auf demselben Sitz sollen verbunden
bleiben die Keuschheit, die Schamhaftigkeit, die