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„Siehst Du, Asklepios, diese beseelten Statuen, voller
Gefühl und Geist, die solche grosse und würdige Hand
lungen wirken? Diese Statuen, sage ich, die Voranzeiger
künftiger Ereignisse, welche Krankheiten, Sorgen, Freuden
und Trauerfalle je nach den Verdiensten in die Gemüter
und Körper der Menschen einführen? Weisst Du nicht,
o Asklepios, wie Ägypten d'as Haus des Himmels, oder
um es besser zu sagen, eine Kolonie aller Dinge ist, die
im Himmel gelenkt und verwaltet werden ? Um die Wahr
heit zu sagen, unser Land ist ein Tempel der Welt. Aber
wehe! die Zeit wird kommen, da der Ägypter umsonst
ein religiöser Verehrer der Gottheit gewesen zu sein
scheinen wird; denn die Gottheit wird gen Himmel
zurückkehren und Ägypten verödet lassen, und dieser Sitz
der Gottheit wird verwitwet und jeglicher Gottesverehrung
beraubt trauern, weil er verlassen sein wird von der
Gegenwart der Götter; und ein fremdes Barharenvolk
wird hier hausen ohne Religion, ohne Frömmigkeit, ohne
irgend welche Gesetze und Kulte. 0 Ägypten, Ägypten!
von Deinen Religionsanschauungen werden für die kom
menden Geschlechter nur noch unglaubliche Fabeln übrig
bleiben, nichts wird übrig bleiben, um von Deinen Werken
zu berichten, als die in Fels gehauenen Buchstaben, welche
nicht den Göttern und Menschen, — denn letztere werden
Der Hermes Trismegistos ist ein, teils in griechischer, teils in
lateinischer Sprache auf uns gekommenes mystisches theosophisches Buch,
das die esoterische Weisheit der alten Ägypter darzustellen vorgiebt.
Es stand schon in den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche in
hohem Ansehen und Lactantius sagt, dass „Hermes, er wisse nicht wie,
fast die ganze Wahrheit entdeckt habe.“
Seinem gegenwärtigen Zustande nach zerfällt das Buch in drei
Hauptteile : 1. Poemandres, 2. Asklepios, 3. Liber sacer.
Ausserdem sind verschiedene Fragmente bei Suidas, Stobaeus und
Lactantius erhalten.
Die hier von Bruno wiedergegebene Stelle ist aus dem Dialog
Asklepios, dessen richtiger Titel wahrscheinlich TEÂSlOg Ààyog „Discours
d’Initiation“.
Die Citation desselben Passus durch Lactantius und andere Momente
lassen darauf schliessen, dass wenigstens dieser Teil des Buches Hermes
Trismegistos um die Zeit des untergehenden Heidentums, etwa in der
neuplatonischen Schule zu Alexandria, entstanden ist.
Vergl. Ménard, Hermes Trismégistos, Paris 1867. „Etude sur
l’origine des livres hermétiques.“ S. 97, 100 ff.